Die Entwicklungstheorie von Erik H. Erikson

Die persönlichen Eigenarten und Eigenschaften eines Menschen hängen nach Erikson mit seiner psychosoziale Entwicklung zusammen.

Eine bedeutende Leistung des deutsch-amerikanischen Psychologen Erik H. Erikson war seine Konzeption zur psychosozialen Entwicklung. Weitere wichtige Psychologen im Bereich Entwicklung sind Freud, Piaget und Kohlberg. Erikson geht von acht Phasen des Menschen aus, in denen der Mensch sich jeweils selbst neu findet und zudem seine Beziehung zu anderen Menschen neu definiert.

Entwicklungsaufgaben nach Erikson

In jeder Phase sieht Erikson Situationen, Aufgaben und Krisen auf das Individuum zukommen. Diese können unterschiedlich bearbeitet und überwunden werden (positiv oder negativ). So unterscheidet er für jede Phase die Bewältigungszustände „gesund“ und „gestört“. Ein Baby im ersten Lebensjahr erlebt beispielsweise Vertrauen und Misstrauen gegenüber der Mutter und anderen Personen. In der „normalen und gesunden“ Entwicklung des Babys wird die positive Sichtweise, zum Beispiel Vertrauen stärkeren Anteil haben als die negative wie etwa Misstrauen. Allerdings wird Misstrauen nie ganz verschwinden. In jeder Phase spitzt sich so ein Thema – beispielsweise Vertrauen, Misstrauen – zu einer Krise zu. Wenn die Krise bearbeitet und überwunden wird, folgt eine weitere Phase. Ein seelisch gesunder Mensch in der Gesellschaft ist man nach Erikson, wenn die verschiedenen Entwicklungsaufgaben (Krisen) erfolgreich überwunden werden. Wie erfolgreich dabei definiert wird, geben die Wertmaßstäbe der entsprechenden Gesellschaft und Kultur an.

Krisen in der psychosozialen Entwicklung bis zur Pubertät

Im ersten Lebensjahr hat das Baby Mutter und Vater als intensive und fürsorgende Bezugspersonen. Diese erste Erfahrung führt zu Vertrauen. Daneben wird das Baby auch Misstrauen empfinden, wenn die Mutter das Kind eine Zeit allein lässt, um etwas zu erledigen. Um eine gesunde Entwicklung der des Menschen zu erreichen, sollte das Vertrauen stärker als das Misstrauen ausgeprägt sein. Im zweiten und dritten Lebensjahr geht es um das Thema Autonomie auf der einen Seite und um Scham/Zweifel auf der anderen Seite. Autonomie heißt, dass sich das Kind immer mehr von der Mutter emanzipiert. Das Kleinkind hält Gegenstände fest oder lässt sie los. Bei einem erfolgreichen Überwinden der Krise gewinnt Autonomie gegenüber Scham und Zweifeln an Bedeutung.

Das Thema Initiative einerseits und Schuldgefühl andererseits zeigt sich im vierten und fünften Lebensjahr des Kindes. Es fragt viel, spielt Rollen und erforscht so seine Umgebung. Durch die Rivalität zum gleichgeschlechtlichen Elternteil – so wie sie Freud beschreibt – erlebt das Kind auch Schuldgefühle. Erfolgreich diese Entwicklungsphase zu überwinden, heißt für den jungen Menschen, sowohl Initiative zu ergreifen als auch mit eigenen Schuldgefühlen umzugehen. Vom sechsten Lebensjahr bis zur Pubertät steht das Thema Werksinn zum einen und Minderwertigkeitsgefühl zum anderen im Vordergrund. Der jugendliche Mensch möchte spielen und auch ein Werk erstellen also etwas Nützliches schaffen. Beides wird in der Primar- und Sekundarstufe der Schule gefördert. Falls der Jugendliche in der Schule ohne Erfolg ist, kann dies mit der Zeit zu einem Minderwertigkeitsgefühl führen. Um sich gesund zu entwickeln, sind Erfolge von Bedeutung.

Krisen in der psychosozialen Entwicklung vom 13. bis 45. Lebensjahr

Das 13. bis 20. Lebensjahr ist durch die Thematik Identität einerseits und Identitätsdiffusion andererseits geprägt. Der Jugendliche stellt seine Identität in Frage und sucht diese. Es ist die Zeit, in der er neue soziale Rollen (beispielsweise eine Rolle in der Gleichaltrigengruppe, eine Auseinandersetzung mit dem anderen Geschlecht, eine Rolle im Beruf) übernimmt. Die Identitätsbildung wird durch positive Erlebnisse gefördert. Man entwickelt ein gesundes Selbstwertgefühl. Sollte das nicht möglich sein, kommt es zu einer „verschwommenen Identität“. Das Thema Intimität zum einen und Isolierung zum anderen spielt vom 21. bis zum 45. Lebensjahr eine wesentliche Rolle. Ein Mensch mit einer gefestigten Identität kann in einer Beziehung Intimität zulassen. Man isoliert sich vom Beziehungspartner, wenn die Identität noch nicht stabil und klar ausgeprägt ist. Ein gesunder Mensch sollte ein sinnvolles Verhältnis zwischen Intimität und Isolierung anstreben.

Krisen in der psychosozialen Entwicklung vom 46. Lebensjahr bis zum Tod

Vom 46. bis zum 65. Lebensjahr ist die Thematik Generativität auf der einen Seite und Selbstabkapselung auf der anderen Seite aktuell. In dieser Phase möchte man etwas Bleibendes für die nächsten Generationen schaffen. Erikson sieht als Generativität das Erziehen – und zwar der nächsten Generation. Die andere Seite ist eine Abkapselung zu sich selbst und eine Vereinsamung im Alter. Das Thema Integrität einerseits und Verzweiflung andererseits findet vom 66. Lebensjahr bis zum Lebensende statt. In dieser Phase kann man versuchen, seinen Lebensweg bisher zu bejahen – mit allen positiven und negativen Erfahrungen, Situationen und Schlüsselerlebnissen. Ist dies nicht möglich, so kommt es eventuell zu Verzweifeltsein und Unzufriedenheit mit dem Lebenweg. Sollte man die in den jeweiligen Phasen auftauchenden Krisen nicht meistern können, wird nach Erikson die psychische Entwicklung des Menschen mit hoher Wahrscheinlichkeit gestört.

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