Die Heilkraft von Wurzeln

Mythologie,Geschichte, Verwendung und Zubereitung. Herbst und Frühjahr sind Wurzelzeiten für Mensch und Pflanze. Zeit des Rückzugs und Zeit für das Sammeln von Wurzeln für heilkräftigen Tee und andere Arzneien

Im Spätherbst beginnen sich die Lebenssäfte der Pflanzen in das Erdreich zurück zu ziehen. Nachdem das Chlorophyll aus den Blättern in den Speicherorganen eingelagert wird, um im nächsten Jahr für das neuerliche Wachstum zur Verfügung zu stehen, bildet sich zwischen Spross und Blatt eine Korkschicht. Das Laub wird von der Nährstoffversorgung abgeschnitten, die Blätter fallen, das oberirdische Grün trennt sich von der Pflanze. Auch die heilenden Wirkstoffe ziehen sich aus den oberirdischen Pflanzenteilen in die Wurzeln zurück.

Somit sind Herbst und Winter keinesfalls eine karge Zeit, in der man auf heilkräftige Tees und andere Zubereitungen verzichten muss. Er ist der beste Zeitpunkt, um wohltuende Wurzeln zu ernten: Salben, Tees und Tinkturen bringen uns gesund über den Winter; Kräuter wie Eibisch, Brennnessel und Baldrian sind kraftvolle Heilpflanzen und liefern uns wichtige Inhaltsstoffe für das ganze Jahr.

Die Wurzel als Vermittler des Lebens

In der Wurzel liegen die Ursprünge aller Dinge und des Seins. Sie sind Ausgangspunkt jedes Wachstums, Basis, die am Boden der Tatsachen hält, Nährstofflieferant und Garant für ein Überleben.

Von welcher Wichtigkeit Wurzeln für den Menschen sind, zeigt sich bereits anhand zahlreicher Sprichworte: Jemand „verliert den Boden unter den Füßen“, ist „entwurzelt“ und desorientiert; man spricht vom „Stammbaum der Familie“ und befindet sich auf der Suche nach seinen „Wurzeln“. Wurzeln geben dem Menschen Halt und sind somit die Verankerung im Leben.

Auch manche Lehre findet ihre Wurzeln in der Vergangenheit. In der grauen Vorzeit unserer Ahnen wurden weise Frauen und Heilerinnen als Wurzelkundige verehrt. Wurz war das heilkräftige Pflanzenwesen und findet sich noch heute in den Namen vieler Heilkräuter: Blutwurz, Nelkwurz, Haselwurz, Meisterwurz und andere mehr.

Die Mythologie der Wurzeln

Der keltisch-germanischen Sage nach sitzen drei Mütter an den drei Wurzeln des Weltenbaumes. Hier wird das Schicksal der Welt gesponnen: „Von dort kommen Frauen, vielkundige, drei, aus dem Born, der beim Baume liegt“, so kündet die Völva, Seherin der germanischen Edda. Wurzeln gelten demnach als Schicksals- und Bestimmungsort, als Vermittler des Lebens – und der Wurzelkundige ist somit nicht allein ein Kräuterexperte oder Botaniker, der die Pflanzen erkennen und verarbeiten kann, sondern auch eine Art Okkultist (occultus = verborgen, versteckt), der hinter die Fassade zu blicken vermag, unter der Oberfläche zu erspüren weiß, was tief verwurzelt ist und über ein Wissen verfügt, welches ihm erlaubt, das verborgene Wesen des Lebens und der Pflanzen beim Namen zu nennen und zu nutzen.

So sind die Anfänge der Kräuterkunde in jenen Zeiten zu finden, als es noch üblich war, an das Gefüge der Welt zu glauben, die Pflanzenseelen zu befragen und vieles Wissen instinktiv zum Menschen kam – aus der Wurzel des inneren Gefühls. Kräuterkundig bedeutet somit, die verborgenen Eigenschaften der Pflanzen zu erkennen. Dafür standen die weisen Frauen, die Kräuterweiber und die Heilerinnen.

In ihnen finden wir die Wurzel unserer Entwicklung und ebenso die Wurzeln der Medizin, Phytotherapie, der Heilpflanzenkunde.

Den Arzt, der jede Pflanze nennt,

die Wurzel bis ins Tiefste kennt,

dem Kranken Heil, dem Wunden Linderung schafft,

umarm ich hier in Geist und Körperkraft.

Goethe, Faust II, Am untern Peneios

Heilkräftige Wurzeln

Wurzeln sind das Speicherorgan der Pflanzen. In ihnen werden wichtige Nähr- und Mineralstoffe sowie Wasser aufgenommen, gespeichert und wieder an die anderen Pflanzenteile abgegeben. Ihr Zustand hat einen direkten Einfluss auf das gesamte Gewächs. Ist ihr Zustand gesund und vital, kann es seine Aufgabe im Kreislauf der Natur wahrnehmen. Krankt sie hingegen, ist dies nicht mehr möglich.

Die Wurzeln der Pflanze liegen meist unter der Erde verborgen. Mit ihnen hält sie sich im Dunkel des Erdinneren fest. Ihr Stiel bildet die Verbindung zwischen Erde und Himmel, Verzweigungen, Blätter und Blüten sind den Kräften der Natur wie Wind, Kälte, Hitze, Tau, und Schnee gleichermaßen ausgesetzt. Diesen täglich neuen Reizen bestmöglich standzuhalten, ist ihre Aufgabe. Die Wurzel steht somit für das Heil und die Gesamtheit der Pflanze, ihre Kraft entscheidet über das Leben. Heilung liegt in den Wurzeln, den eigenen und der Gesamtheit des Seins.

Wurzelgräberzeit ist im Herbst oder sehr zeitigen Frühjahr. Die Heilkräfte haben sich zurückgezogen oder sind noch im Boden zu finden, bevor die Pflanze erneut zu wachsen beginnt. Auch der Mensch geht in jenen Monaten des Jahres auf Rückzug, erinnert sich an Ruhe und Besinnung und es entsteht Raum für die tieferen Dinge, die zusammenhaltenden Kräfte, die eigenen Wurzeln.

Die Verwendung im Mittelalter und heute

Im Mittelalter trug man Wurzelamulette zum Schutz vor Hexen, bösen Geistern und Krankheiten. Ein Schmuckstück aus Baldrian sollte beispielsweise gut bei Augenleiden helfen. Wenngleich diese Bräuche heutzutage nicht mehr gelebt werden, sind die heilwirksamen Substanzen der Wurzelpflanzen nach wie vor von therapeutischer und medizinischer Bedeutung.

Heilpflanzen wie Brennnessel, Baldrian, Ingwer, Meerrettich und Löwenzahn tragen einen Großteil ihrer heilwirksamen Pflanzenstoffe im Verborgenen. Mit ihnen unterstützt uns die Pflanze bei gesundheitlichen Störungen und hilft dem Organismus erneuten Halt und wieder ins Gleichgewicht und somit zur Gesundheit zurück zu finden.

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