Die Wahrheit über die Linkshändigkeit

Handelt es sich um ein reales Phänomen, wenn man z.B von erhöhten Gesundheitsrisiken oder von einer kürzeren Lebenserwartung bei Linkshändern spricht?

Mehrere Studien der modernen psychologischen und neurologischen Forschung ergaben im Laufe der letzten Jahrzehnte besonders interessante statistische Erkenntnisse, die die menschliche Händigkeit betreffen.

Verschiedene Indikatoren wie beispielsweise Zusammenhänge zwischen der Händigkeit und dem Geschlecht, den Lernleistungen, den kognitiven Fähigkeiten und sogar der Lebenserwartung von Menschen verschiedener Bevölkerungsgruppen wurden gezielt analysiert. Hierbei kam es zu vielfältigen und teils umstrittenen Resultaten, welche bis heute weiterhin die Debatte um die Funktion, die Erblichkeit, die Umwelteinflüsse und die Bedeutung der menschlichen Händigkeit anheizen.

Erblichkeit der Linkshändigkeit

Es kann nicht eindeutig von einer gegebenen Erblichkeit der Linkshändigkeit gesprochen werden, da zum einen bei eineiigen Zwillingspaaren, deren genetische Erbinformation quasi identisch ist, die Wahrscheinlichkeit einer Übereinstimmung der Händigkeit nicht nennenswert größer ist als bei „normalen“ Geschwistern. Zum anderen ist laut einer Studie der James-McDeviitt-University die Wahrscheinlichkeit einer genetischen Übertragung der Händigkeit von linkshändigen Eltern zum Kind auch relativ gering und liegt ca. bei 1/4. Eine Studie aus dem Jahre 2008 in Wuppertal bestätigt die Zweifel an einer Erblichkeit der Linkshändigkeit ebenfalls. Familiäre Linkshändigkeit oder Komplikationen bei der Geburt sind nicht Indizien genug, um die Händigkeit einer Person festzustellen. Linkshändige Paare bekommen mit ähnlicher Wahrscheinlichkeit wie rechtshändige Paare rechtshändige Kinder. Die Dominanz der rechten Gehirn-Hemisphäre scheint nicht allein erblich zu sein. Es wurde jedenfalls bis heute noch kein für die Händigkeit spezifisches Gen gefunden.

Leistungsunterschiede zwischen Rechts- und Linkshändern

Der IQ-Wert scheint durchschnittlich betrachtet bei Rechtshändern genauso wie bei Linkshändern zu sein, allerdings unterscheidet sich hier die Verteilung der Intelligenz im Bereich der Extremwerte beider Händigkeiten maßgeblich. Statistisch gesehen ist bei unterdurchschnittlich intelligenten Menschen eine höhere Quote an Linkshändern repräsentiert als bei Rechtshändern. Allerdings sind im Gegenzug Linkshänder unter Hochbegabten deutlich überrepräsentiert. Ein Beispiel hierfür: Laut Studien aus den USA sind unter den 0,1 % der besten jungen Teilnehmer regelmäßiger Mathematik-Tests 25 % Linkshänder. (Man behalte im Hinterkopf, dass Linkshänder durchschnittlich 10-15 % der Bevölkerung jeden Landes ausmachen.)

Auffälligkeiten wie etwa ein Mangel an Konzentration, Langsamkeit, Gedächtnis- sowie Sprachstörungen im kausalen Zusammenhang mit der Händigkeit konnten bisher nur eindeutig bei umerzogenen Linkshändern (von links zu rechts) festgestellt werden. Die Umerziehung der Linkshänder zu Rechtshändern, welche bis vor einigen Jahrzehnten auch in Deutschland üblich war, birgt für die Betroffenen nicht zu vernachlässigende Gefahren in sich. Die erzwungene Überbelastung linker Gehirnareale führt u.a. die genannten Störungen herbei.

Mit der Händigkeit zusammenhängende Gesundheitsrisiken

Normand Geschwind, ein Neurologe aus Boston hatte 1982 Studien zur Linkshändigkeit durchgeführt und schloss aus diesen, dass Linkshänder anfälliger für Allergien sowie für Brustkrebserkrankungen und Multiple Sclerosis sind. Tatsächlich lassen sich statistisch höhere Wahrscheinlichkeiten für linkshändige Frauen errechnen, an Brustkrebs zu erkranken. Allerdings ist fraglich, ob es sich hierbei um einen kausalen Zusammenhang handelt.

Zusammen mit Albert Galaburda und Peter Behan entwickelte Geschwind das Geschwind-Behan-Gallura-Modell als Erklärungsansatz für die Resultate der Studie. Sie brachten den Testosteron-Spiegel des Embryos in Zusammenhang mit der Lateralisation des Gehirns. In den frühen Wochen der Schwangerschaft sorgen Erhöhungen des Testosteron-Spiegels für eine Hemmung der Entwicklung bestimmter Bereiche der linken Gehirnhälfte, die u.a. für Sprache sehr bedeutend sind. Geschwind machte ebenfalls eine solche Erhöhung des Testosteron-Spiegels verantwortlich für eine Schwächung des Thymus und somit verantwortlich für eine schwächere Immunabwehr. Als Kompensation wird die rechte Gehirnhälfte besonders ausgebildet und ermöglicht höhere mathematische Fertigkeiten sowie ein besseres räumliches Vorstellungsvermögen.

Erkenntnisse, die dies bestätigen sind z.B, dass überwiegend Männer Linkshänder sind, dass Männer anfälliger für Sprachstörungen sind oder dass Linkshänderinnen eine 65 % höhere Wahrscheinlichkeit haben, an Multiple Sclerosis zu erkranken. Das Geschwind-Behan-Gallura-Modell ist allerdings bis heute noch sehr umstritten. Völlig falsifiziert wurde es noch nicht, doch an einigen Teilbereichen lassen sich Zweifel anbringen, wie z.B. an den Methoden der Befragung der Studie.

Sterben Linkshänder früher?

Als Coren, ein Psychologe aus Kanada 1988 einen Artikel über die Kurzlebigkeit linkshändiger Baseball-Spieler veröffentlichte, begann sich eine breitere Öffentlichkeit für das Thema zu interessieren und viele irreführende Informationen über die kürzere Lebenserwartung von Linkshändern wurden verbreitet. Tatsächlich ist dies nicht aufrecht zu erhalten, da die geringe Anzahl an Linkshändern bei älteren Altersgruppen lediglich damit zusammenhängt, dass die Linkshändigkeit in früheren Jahrzehnten öfter umerzogen wurde als es heute der Fall ist. D.h. die älteren umerzogenen Linkshänder lassen die Zahl der tatsächlichen gleichaltrigen Rechtshänder künstlich anwachsen. Dadurch entsteht der fälschliche Eindruck, dass Linkshänder früher sterben. Umerzogene Linkshänder behalten de facto nämlich weiterhin ihre Händigkeit, ihre Bewegungen werden bloß von anderen Hirnarealen gesteuert.

Das Rätseln um die Ursachen der Linkshändigkeit wird wohl die Forscher noch sehr lange beschäftigen.Erklärungsansätze häuften sich in den letzten Jahren, doch noch wurde nicht viel offenbar. Besonders die Frage nach der Erblichkeit gestaltet sich schwer, zumal bisher noch kein Gen für die Händigkeit wirklich gefunden wurde.

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