Empty Nest – Wenn die Kinder das Haus verlassen

Der Auszug der Kinder stellt Paare vor neue Herausforderungen. Eben waren sie noch klein, jetzt packen sie schon die Koffer. Wenn die erwachsenen Kinder das elterliche Nest verlassen, leiden Mama und Papa. Warum und was jetzt hilft.

Die Koffer sind gepackt, der Umzugswagen steht vor der Tür. Nach zwanzig Jahren ist es soweit: Jule zieht aus. Sie ist die letzte von drei Kindern, welches das elterliche Haus verläßt und in die Großstadt zum Studieren zieht. Jules Eltern stehen wehmütig und etwas ratlos in der Tür und winken ihrer Tochter zum Abschied. Die Zeit ihrer aktiven Elternschaft ist nun vorbei. Die Kinderzimmer stehen leer und das Haus erscheint ganz plötzlich unendlich ruhig.

Soziologen nennen die Phase nach dem Auszug der Kinder „Empty Nest“. Nach vielen turbulenten Familienjahren wird nun aus Mutter und Vater wieder Mann und Frau in einer Zweierbeziehung. Viele Jahre liegen noch vor ihnen. Laut Statistik sind Eltern zum diesem Zeitpunkt im Durchschnitt 55 Jahre alt. Die Silberhochzeit läutet eine neue Lebensphase ein.

Neue verwirrende Gefühle

Das leere Nest verwirrt zunächst. Wo stehen wir und wo wollen wir hin? Wie füllen wir unser Leben ohne die Kinder? Diese Fragen werden für Eltern nun bedeutsam und müssen beantwortet werden. Dabei haben Studien der Soziologin Christiane Papastefanou ergeben, dass das leere Nest nach anfänglicher Trauer von 87 Prozent der Eltern als Entlastung empfunden wird.

Die Wege, die Eltern nun einschlagen, um das letzte Drittel ihres Lebens zu führen sind unterschiedlich. Innerhalb der Scheidungsstatistiken gilt das leere Nest als das zweite große Krisengebiet nach der Babyphase. Zu diesem Zeitpunkt zeigt sich, ob das Band der Liebe stark genug ist und die Beziehung für beide Partner auch ohne Kinder ausfüllend ist. Wenn es an Kommunikation mangelt und gemeinsame Interessen fehlen ist eine Trennung oft der einzige Ausweg.

Das leere Nest als Chance

Bis zu einer Trennung muss es nicht kommen, wenn Paare sich den neuen Anforderungen stellen und für eine gemeinsame Zukunft neue Pläne schmieden. Die neu gewonnenen Freiräume und die finanzielle Entlastung geben dem Leben neue Möglichkeiten. Endlich ist die Zeit für spontane Ausflüge, Reisen oder die Verwirklichung lang ersehnter Träume da. Der Familienkombi kann gegen einen schicken Kleinwagen eingetauscht werden, die Kinderzimmer werden zu Hobbyräumen.

Dabei ist der wichtigste Motor für eine glückliche Paarbeziehung in der Silvermoonphase das Opening Up, wie es Psychologen nennen. Nach Jahren voller Familienalltag, Streitereien und Machtkämpfen, dem beruflichen und finanziellen Streß ist nun die Zeit gekommen, Luft zu holen und eine gemeinsame Kommunikationsplattform wieder zu finden.

Vieles an wichtiger Kommunikation ist in den Jahren mit den pubertierenden Kindern auf der Strecke geblieben und muss aufgearbeitet werden. Hier steht zunächst die Suche nach Gemeinsamkeiten. Sind wir glücklich mit unserem Leben oder müssen wir Dinge verändern?

Mut zu Neuem

Manche Paare entscheiden sich, das nun viel zu große Haus zu verkaufen und einen neuen Anfang zu wagen. „Wir hatten Lust auf Kultur, wollten zu Fuß ins Theater und uns von dem Ballast des großen Hauses und der Gartenarbeit befreien,“ sagt Irene H.. Die 52jährige und ihr Mann tauschten die 200qm Villa im Grünen gegen eine Stadtwohnung im Zentrum von Bremen.

Doch nicht nur die Paarbeziehung muss neu definiert werden: Auch individuell müssen beide Partner neue Lebenswege finden und gestalten. Besonders für Frauen stellt sich zu diesem Zeitpunkt die Frage nach der weiteren Zukunftsgestaltung. Die Kinder haben das Leben dominiert. Eigene Interessen wurden um den Zeitplan der Kinder herumgebastelt, Berufstätigkeit oft nur in Teilzeit ausgeübt. Jetzt ist das Pflichtprogramm abgehakt und Mütter werden wieder zu unabhängigen Frauen. Dieser Schritt ist jedoch nicht immer einfach.

Psychische Probleme häufig bei Frauen

„Mit den Kindern ging auch mein Lebensinhalt“ sagt Monika (56). Die Hausfrau und dreifache Mutter fiel in ein großes Loch als der jüngste Sohn mit 21 Jahren auszog. „Ich wußte nicht mehr, wohin mit mir und hatte große Schwierigkeiten meinen Alltag zu gestalten.“

Der Verlust des Selbstwertgefühls, Selbstzweifel und Depressionen nach dem Auszug der Kinder beschreiben das Empty-Nest-Syndrom, welches vor allem Hausfrauen betrifft. Die jahrelange Identitätsfindung über die Betreuung der Kinder und die Pflichten im Haushalt wird plötzlich über den Haufen geworfen. Der Partner geht arbeiten, das Haus ist leer.

Der Schritt in die Berufstätigkeit oft kaum zu realisieren. „Auf dem Arbeitsamt haben die gleich abgewunken und mich an mein Alter erinnert,“ erzählt Monika. Nach einem halben Jahr seelischen Tiefs fand sie neue Aufgaben in der ehrenamtlichen Gemeindearbeit und knüpfte viele neue Kontakte. „Mein Wissen und meine Erfahrungen als Mutter kommen mir besonders in der Arbeit mit Kindern sehr zugute.“

Die emotionalen Höhen und Tiefen nach dem Auszug der Kinder sind geprägt von individuellen Einflußfaktoren. Eltern sollten sich schon frühzeitig bewußt machen, dass der Moment des Leeren Nestes kommen wird. Frauen, die, sobald die Kinder groß genug sind, eine Berufstätigkeit oder individuelle Aktivitäten aufnehmen, werden unter dem Auszug der Kinder, weit weniger leiden als Hausfrauen, die ausschließlich für die Familie gelebt haben.

Auch Freizeitbeschäftigungen ohne Kinder, kreative Hobbies und Unternehmungen mit Freunden und Bekannten bilden Konstanten im Leben, die bleiben. Es ist ein Prozess des Lernens. Oft fällt es Eltern schwer zu glauben, dass die Kinder schon erwachsen sind. Die Zeit zwischen Pampers und dem Auszug ist im Rückblick schnell vergangen und nun kommt alles so plötzlich und scheint unwiderbringlich.

Doch der Auszug ist nur eine räumliche und keine familiäre Trennung. Die Kinder geben den Eltern in der Regel noch viele Möglichkeiten zur Unterstützung, für Gespräche und gemeinsame Aktivitäten.

Wenn Eltern sich bewußt machen, dass sie nicht ihre Kinder verloren, sondern Zeit und Freiraum gewonnen haben, kann die Empty Nest Phase zum Silvermoon werden und eine erfüllende Qualität in die Partnerschaft bringen.

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