Hochdeutsch lernen an einem Tag

Sprecherzieherin trainiert mit Dialektsprechern akzentfreies Deutsch.  Sprachkompetenz ist, wenn man beides kann: Dialekt sprechen und Hochdeutsch. Letzteres bringt Ariane Willikonsky, selbst waschechte Schwäbin, ihren Kunden bei.

Nicht, dass Ariane Willikonsky etwas gegen Dialekt hätte. Die 41-Jährige ist im baden-württembergischen Hechingen geboren und „schwätzt“ selbst gerne Schwäbisch. Aber sie kann auch anders, und das bringt sie ihren Kunden bei: Nicht nur Schwaben, auch Sachsen, Bayern, Schweizer und andere können bei ihr „Hochdeutsch“ lernen – ein Tagesseminar genügt.

Dialekt ist die Sprache des Herzens

In vielen Situationen ist Dialekt genau richtig: Mundart könne Türen und Herzen öffnen, sie „symbolisiert Nähe, Hochdeutsch Distanz“, sagt Ariane Willikonsky. Aber es gibt Situationen, in denen Dialekt fehl am Platz ist: bei einem Fachvortrag, bei einer Vorlesung an der Uni oder immer dann, wenn andere einfach Verständnisprobleme haben, ob sie nun aus dem Ausland kommen oder aus einem anderen Bundesland.

Dann ist Hochdeutsch gefragt – aber bitte richtig! Bloß keine Pseudo-Variante wie das sogenannte „Honoratiorenschwäbisch“, das für Willikonsky schlicht ein „sprachlicher Albtraum“ ist. Schrecklich klinge auch, wenn Leute im Bemühen um korrektes Deutsch jeden Buchstabe einzeln betonen: „Wisseen Sie, waas ich meinee?“, führt Willikonsky vor. „Dass man nach der Schrift spräche, ist wirklich ein Irrglaube“, stellt die Fachfrau fest, die an der Musikhochschule Stuttgart Sprecherziehung studiert hat: „Das ist einfach Schwachsinn.“

Die Theorie ist meist kein Problem

Dabei können ja eigentlich alle Deutschen „Hochdeutsch“. Wir hören es in den Medien, wir lesen es und schreiben es. Nur den regionalen Zungenschlag bekommen viele nicht los. Das führen grade beim Schwäbischen zahlreiche Politiker ebenso vor wie Ex-Bundestrainer Jürgen Klinsmann. Willikonsky weiß, woran das liegt: Schwaben bewegen beim Sprechen die Zunge relativ weit hinten im Mund, sie sprechen „rückverlagert“ oder „dorsal“, wie Fachleute sagen. Das dämpft die Stimme, klingt etwas verwaschen und wird von den Gegenübern oft als abgewandt und unkommunikativ empfunden.

Einfach lernen, „wie hochdeutsche Artikulation geht“

So weit die Theorie, das praktische Beispiel klingt so: „Dr Vadder ond d’Mudder waret Schbortler ond d‘ Kender sen Schbortreporder!“ Zugegeben, das funktioniert bei minimaler Mundbewegung und klingt recht nuschelig. Darin sieht Willikonsky begründet, dass Schwäbisch auf der Beliebtheitsskala der Dialekte weit unten steht, während die Schwaben und ihr Musterländle an sich ein sehr gutes Image haben. Und da setzt sie mit ihren Kursen an. „Man muss einfach wissen, wie hochdeutsche Artikulation geht“: Zunge nach vorne, Mund weiter öffnen. Dadurch klinge auch automatisch die Stimme lauter.

Gelächter beim gemeinsamen Üben

Diese Technik bringt die Diplom-Sprecherzieherin ihren Kursteilnehmern in Bad Cannstatt bei Stuttgart bei. Leidvoll oder peinlich geht es nicht zu in ihrem FON-Institut: „Es macht unheimlich Spaß. Das ist lustig, wenn man gemeinsam übt“, versichert sie. Und „selbst der breiteste Dialektsprecher konnte bisher immer am Abend perfekt Hochdeutsch lesen.“ Für den Alltagsgebrauch muss dann noch geübt werden – aber besser nicht im Freundeskreis! Eher bieten sich das Telefon oder neue Bekanntschaften an.

Verhältnis zum eigenen Dialekt verbessern

„Abtrainiert“ wird der Dialekt nicht, das sei ebenso unmöglich wie das Laufen zu verlernen, versichert die Fachfrau. Manche Teilnehmer hätten nach der intensiven Auseinandersetzung im Seminar sogar ein besseres Verhältnis zu ihrer Mundart, jedenfalls ein entspannteres. „Dialekt ist auf jeden Fall eine Bereicherung“, betont Willikonsky, die zwar keinen Vortrag ganz auf Schwäbisch halten würde, aber gerne zwischendrin ein dialektgefärbtes „Sätzle“ einstreut: „Die Leute lachen, die freuen sich, wenn da ein Mensch steht“, sagt sie. „Wenn man beides kann, das ist Kompetenz. Dann hat man die Trümpfe in der Hand.“

Den ersten Kurs unter dem Motto „Wir können alles. Auch Hochdeutsch“ bot sie nach der Eröffnung ihres FON-Institutes an. Sie stieß damit offensichtlich in eine Marktlücke, Ansturm und Presseecho waren gewaltig. Mittlerweile hat die Sprecherzieherin bei rororo mehrere Bücher für Dialektsprecher veröffentlicht. Viele ihrer Teilnehmer reisen extra an. Bei rund 90 Prozent von ihnen bezahlt der Arbeitgeber den Kurs, schätzt Willikonsky.

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