Kompass der Liebe: zwischen Lust und Renaissance der Treue

Der Mensch fürchtet sie und sehnt sich nach ihr. Er will die Liebe besiegen, aber sie zwingt ihn oft in die Knie. Es ist ein Spiel mit dem Feuer.

Die Liebe gehört zu den stärksten Gefühlen und macht dem Menschen daher auch Angst. Man fühlt sich ihr ausgeliefert: „Wo die Liebe hinfällt“, sagt man, was überhaupt nicht nach Selbstbestimmung klingt. Wer verliert denn gerne die Kontrolle über sich? Man verkommt zum Gejagten: ein schießender Amor läuft dem Menschen hinterher und erwischt sein Opfer zu unpassenden Zeiten. Man fürchtet die weitreichenden Konsequenzen – „Liebe macht blind“, warnen die Volksweisen in allen Kulturen. Will sich der moderne Mensch der Liebe daher entziehen und wählt lieber das Single-Dasein?

Liebe – ein chemischer Ausnahmezustand

Chemisch gesehen geschieht eine ganze Menge im verliebten Körper: Es scheint alles aus den Fugen zu geraten. Die Hormone spielen verrückt. Der Mensch wird von Adrenalinschüben geschüttelt und mit Dopamin geplagt. Den Zustand eines Verliebten vergleichen Wissenschaftler mit dem eines Drogensüchtigen. Ähnlich sehen auch die ,Entzugserscheinungen‘ nach einer Trennung aus, wofür manche den plötzlichen Dopamin-Mangel verantwortlich machen. Das Fazit aus den klugen Erkenntnissen könnte einfach lauten: Wer mit der Liebe spielt, spielt mit dem Feuer.

Fähigkeit und Unfähigkeit zu lieben

Kann man die Liebe ,entwaffnen‘ und einen ,friedlichen Umgang‘ mit ihr erlernen? Und wer soll einem das beibringen? Die Psychologie – eine der jüngeren Wissenschaften – weist auf die Bedeutung der Kindheit. In den ersten Lebensjahren erhält der Mensch sein ,Gefühlswerkzeug‘ für die Zukunft. Eine intakte Umgebung – was nicht unbedingt eine Familie im kirchlichen Sinne bedeutet – stärkt die Chancen auf ein erfülltes Liebesleben im erwachsenen Alter. Ein geliebtes Kind nimmt eine Art Urvertrauen mit in die Welt und kann später Rückschläge besser einstecken. Die gescheiterten Lebensläufe von missbrauchten Kindern bezeugen dagegen auf tragische Weise, wie tiefgründig das Gefühlsleben durch solche Traumata beeinflusst wird. Es geht dabei weniger um die Fähigkeit zu lieben – die scheint angeboren zu sein. Vielmehr machen die einst Missbrauchten den Eindruck, als suchten sie vergeblich nach ihrer Identität und hätten ihren Kompass in der Welt der Gefühle verloren.

Fleischliche Lust und Herzenswärme

Die Liebe lässt sich manchmal nicht auf den ersten Blick erkennen. Harry und Sally aus dem gleichnamigen Film brauchen einige Jahre, bis sie ihre eigenen Gefühle begriffen haben. Stets wird die Liebe auch mit Sex verwechselt. Die fleischliche Lust ist zwar genauso wichtig wie die Herzenswärme. Die Liebe beinhaltet jedoch viel mehr. Verantwortung für die geliebte Person, Treue und Loyalität werden in Umfragen unter anderem als Bestandsteile der Liebe genannt. Die in den aufbrausenden Zeiten der sexuellen Revolution oft verabscheute Treue scheint heutzutage eine Renaissance zu erleben. Man entdeckt im Zeitalter des Internet und fast uneingeschränkter Möglichkeiten aufs Neue den Wert des Verzichts. Die großen Vorbilder stammen aus fernen Zeiten. Heloisa und Abaelard, die im 12. Jahrhundert lebten, ließen leidenschaftlich zuerst „keine Stufe der Liebe“ aus, „und wo die Liebe etwas Ungeheuerliches erfinden konnte, wurde es mitgenommen“ (aus den Briefen von Abaelard). Die meiste Zeit ihres Lebens mussten sie aber getrennt verbringen. Hinter den Mauern der Klöster brannte ihre Liebe jedoch weiter und wurde in ihren Briefen festgehalten.

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