Menschliche Kognition – eine Frage der Kultur?

Gedächtnisstudie zu Tanzbewegungen offenbart grundsätzliche interkulturelle Unterschiede zwischen Deutschen und Buschmännern.

Ihr Tanzlehrer fordert Sie auf, „einen Schritt nach links“ zu machen. Kein Problem. Sie würden der Anweisung ohne zu überlegen Folge leisten können. Mit Verwirrung würden Sie allerdings reagieren, wenn er Ihnen sagt, „einen Schritt nach Süden“ zu machen. Wie erinnern sich Menschen verschiedener Kulturen und verschiedener Sprachen an die Bewegungen ihrer eigenen Körper? Universell, für alle Menschen gleich, oder kultur- und sprachspezifisch?

Konzept egozentrisch versus allozentrisch

Obwohl der physische Raum überall auf der Welt denselben Gesetzmäßigkeiten unterworfen ist, wird er in den Sprachen verschiedener Kulturen unterschiedlich dargestellt. Einige benutzen egozentrische Ausdrücke wie „links, rechts, vorne, hinten“, andere allozentrische (also außerhalb des egozentrischen Raumes) wie „Norden, Süden, Osten, Westen“, wenn sie von räumlichen Beziehung sprechen: „Der Löffel befindet sich nördlich der Schüssel“ oder „Da ist eine Schlange bei deinem nördlichen Bein“.

Da drängt sich auf, solche Sprachen miteinander zu vergleichen. Denn die Bezeichnungen sind mehr als nur Worthülsen, hinter ihnen stehen mentale Konzepte räumlicher Orientierung. Und was wäre da besser geeignet, als Kinder zu untersuchen. Daniel Haun und Christian Rapold haben Kinder zweier Kulturen miteinander verglichen, die räumliche Beziehungen sprachlich auf unterschiedliche Art und Weise ausdrücken: Deutsche, deren Sprache den Raum vorzugsweise in „links, rechts, vorne, hinten“ aufteilt, und die Akhoe Hai//om, eine Khoisan sprechende Gruppe von teilweise nomadisch lebenden Jägern und Sammlern aus dem nördlichen Namibia. Die Buschmänner unterteilen vorzugsweise in „Norden, Süden, Osten, Westen“. Bereits erforscht war in einer früheren Studie, dass Kulturen sich hinsichtlich der Art und Weise unterscheiden, wie der Aufenthaltsort von Objekten im Raum im Gedächtnis gespeichert wird. Bei körpernahen Objekten oder gar Körperteilen werden Informationen gemeinhin im Gehirn stark „egozentrisch“ strukturiert. Erwartung deshalb: alle Menschen erinnern sich auf ähnliche Art und Weise an Körperbewegungen. Daniel Haun und Christian Rapold waren überrascht über die Ergebnisse ihrer Untersuchung.

Manche Kulturen orientieren Bewegungen an Himmelsrichtungen

Die beiden kognitiven Anthropologen brachten Forscher einen kurzen Tanz bei. Dabei sollen sie ihre ineinander verschlungenen Hände in der Abfolge „rechts-links-rechts-rechts“ (RLRR) von einer Seite des Körpers zur anderen bewegen. Anschließend wurden die Teilnehmer 180 Grad um ihre eigene Achse gedreht und gebeten, den Tanz zu wiederholen. Danach tanzten sie ein drittes Mal, diesmal wieder entsprechend ihrer ursprünglichen Ausrichtung. Wenn die Teilnehmer den RLRR-Tanz in egozentrische Koordinaten speichern, sollten sie sowohl nach der ersten als auch nach der zweiten Drehung eine RLRR-Abfolge produzieren. Wenn die Teilnehmer den RLRR-Tanz stattdessen in allozentrische Koordinaten speichern, sollten sie nach der ersten Drehung eine LRLL-Abfolge und nach der zweiten Drehung eine RLRR-Abfolge produzieren. Während fast alle deutschen Kinder eine körperzentrierte Abfolge wählten, merkten sich die meisten Akhoe Hai//om Kinder die Bewegungen ihrer Gliedmaßen im Bezug auf ihre Umgebung. Anders ausgedrückt, ihre Arme bewegen sich nicht nach rechts, sondern nach Westen.

Menschliche Kognition – auch eine Frage der Kultur

„Menschliche Kognition unterscheidet sich mehr als bisher angenommen von einer Kultur zur anderen“, kommentiert Daniel Haun. „Sogar alltägliche Aufgaben, von denen wir uns gar nicht vorstellen können, sie jemals anders zu tun, z.B. wie wir uns an Bewegungen des eigenen Körpers erinnern, werden an anderen Orten der Welt auf eine andere Art und Weise gelöst. Wir sollten also innehalten und darüber nachdenken, wie wenig wir eigentlich über die Vielseitigkeit menschlicher mentaler Prozesse wissen. Die Gemeinschaft der Akhoe Hai//om steht exemplarisch für viele andere Kulturen der Welt, deren Konzepte über ihre Umgebung sich stark von unseren unterscheiden. Diese Kulturen sind der Schlüssel dazu, die Formbarkeit des menschlichen Verstands zu verstehen. Da diese erstaunlichen Kulturen jedoch mehr und mehr verschwinden, ist es notwendig, menschliche Vielfalt schnellstmöglich zu dokumentieren.“

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