Ruhe bewahren: Die Bedrohung durch das Super-Bakterium NDM-1

Die Bildzeitung titelte in ihrer Onlineausgabe vom 15.08.2010, dass es in Brüssel bereits im Juni ein erstes Todesopfer gegeben habe. Kein Grund zur Panik.

Die Zeitung mit den vier großen Buchstaben im Namen ist für ihren Hang zu dramatischen Titelmeldungen bekannt. Doch vor den Nachrichten zu dem geheimen Leben der Fußballspielerfrauen, zu den Einkommen von 45 Spitzenpolitikern, zur Frage, wieso uns die Flutkatastrophe in Pakistan so wenig berührt tauchte am 15. August 2010 an vorderster Stelle die Meldung auf, dass das neue Super-Bakterium NDM-1 in Europa ein erstes Todesopfer gefordert habe. Wissenschaftler, so die Bildzeitung, würden vor dem neuen Super-Bakterium warnen, das sich als – Zitat – schrecklich resistent gegen alle bekannten Antibiotika erwiesen habe. Damit schürte die Bildzeitung mehr Angst, als Anlass zur Sorge bestand.

Der erste Patient verstarb in Brüssel an NDM-1

In der Universitätsklinik der Stadt, die sich als Hauptsitz der Europäischen Union ständig in den Nachrichten wiederfindet, starb bereits im Juni 2010 der erste Patient an NDM-1. Die Bildzeitung zitierte den Mikrobiologen Denis Piérard, dass der in Brüssel lebende und aus Pakistan stammende Mann bei einem Besuch in seiner Heimat einen Autounfall erlitten habe. Er sei mit einer schweren Beinverletzung in einem Krankenhaus vor Ort behandelt und dann nach Belgien gebracht worden. Trotz der Verabreichung eines starken Antibiotikums habe der Patient es nicht geschafft.

Der Mediziner gab weiterhin an, dass auch eine Behandlung mit dem Antibiotikum Colistin, das sich in einigen anderen Fällen erfolgreich gegen NDM-1 durchgesetzt habe, im Falle des Brüsselers gescheitert sei. Ein weiterer, ebenfalls in Belgien lebender Infizierter hatte mehr Glück. Nach einem Unfall in Montenegro sei er in der Uni-Klinik Löwen behandelt und geheilt worden. Weitere Fälle von Infektionen mit NDM-1 wurden aus der australischen Hauptstadt Canberra gemeldet. Einer der Patienten unterzog sich im indischen Mumbai, dem früheren Bombay, einer Schönheitsoperation.

Eine Schönheitsoperation hat auch geholfen, den Keim zu entdecken

Ein Schwede hatte sich im Jahr 2009 ebenfalls in Indien einer Schönheitsoperation unterzogen und mit dem Bakterium NDM-1 infiziert. Ein Forscher der Universität Cardiff in Großbritannien entdeckte den Keim in Folge der Behandlung des Schweden. Das Bakterium trete in erster Linie in Indien und Pakistan auf, wurde aber auch bei 37 Patienten in England diagnostiziert, wie eine am vergangenen Mittwoch veröffentlichte Untersuchung in der Fachzeitschrift Lancet berichtete.

Auch gegen die sogenannten Carbapeneme – Reserveantibiotika, die nur bei sehr schweren Ansteckungen verordnet werden – sei das neue Bakterium resistent. Die Forscher fürchten, dass sich NDM-1 zu einem weltweiten Problem entwickeln könne, zumal die in Krankenhäusern auftauchenden Fälle sich meist nur als Spitze des Eisbergs erweisen und die Dunkelziffer Erkrankter weitaus höher liegen kann, als bisher bekannt sei.

NDM-1 ist das Kürzel für Neu Delhi Metallo-Beta-Lactamase

Die Bildzeitung zitiert das Robert Koch Institut, das erste und bisher einzelne Nachweise für NDM-1 bildende Bakterien in Deutschland bestätigt, aber gleichzeitig noch auf die Wirksamkeit der Antibiotika Tigezyklin und Colistin hinweist. Doch die Erfahrungen mit der Schweinegrippe zeigen, dass sich Krankheiten im Zeitalter der Flugreisen von Kontinent zu Kontinent schnell verbreiten. Aber muss der Bürger Deutschland sich vor dem neuen Super-Bakterium, wie die Bildzeitung es plakativ und angstschürend nennt, wirklich fürchten?

Eines – worauf die Bildzeitung nicht eingeht – scheint nämlich sicher: Die Ansteckungen erfolgen bei Operationen und in Krankenhäusern von Teilen der Welt, die nicht mit den europäischen Hygienestandards arbeiten. Eine Ansteckung von Mensch zu Mensch scheint ausgeschlossen. Wer sich also nicht in die Hände indischer Schönheitschirurgen begibt oder wem Unfälle und Behandlungen in exoktischen Ländern erspart bleiben, muss sich vor NDM-1 offenbar nicht fürchten.

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