Zu früh geboren – Für Frühchen ist der Start ins Leben besonders anstregend

Nicht nur Technik, sondern auch viel Einfühlungsvermögen in die Winzlinge ist auf jeder neonatologischen Station erforderlich. Die Eltern werden aktiv einbezogen.

7,1 Prozent aller Geburten im Jahr 2016 waren Frühgeburten. Das waren genau 5.460 Neugeborene. Rund ein Prozent der Geburten sind sogenannte extreme Frühgeburten. Sie kommen vor der 28. Schwangerschaftswoche zur Welt. In Österreich waren das 2015 (aktuellste Zahlen) 375 Babies.

Droht eine Frühgeburt, raten Experten für Neonatologie, das ist die Frühgeborenenmedizin, zur sofortigen Überweisung in ein Perinatalzentrum. Diese Zentren sind darauf spezialisiert, Geburten und die darauffolgende Versorgung des Frühgeborenen aus einer Hand bewältigen zu können. „Oftmals weiß man bereits einige Zeit vorher, dass eine Frühgeburt droht“, erläutert der Vorstand der Abteilung für Neonatologie an der medizinischen Universität Graz, Prof. Dr. Wilhelm Müller im Gespräch mit News Leben. „So können Blutungen in der Frühschwangerschaft, vorzeitige Wehentätigkeit und eine Verkürzung des Muttermundes das Risiko für eine Frühgeburtlichkeit, ebenso erhöhen, wie Infektionen und Plazentaprobleme.“ Frühgeborene Kinder sind extrem empfindlich. Sie sollten nicht transportiert werden – deshalb ist die Überweisung in eine spezialisierte Einrichtung, wann immer möglich, erforderlich.

Unreife Organe

Das größte Problem bei extrem früh geborenen Kindern ist die Unreife von Lunge, Gehirn und Magen-Darm-Trakt. Deshalb wird bei einer drohenden Frühgeburt natürlich nicht nur so lange wie möglich versucht, den Geburtszeitpunkt hinaus zu schieben. Die werdende Mutter bekommt auch ein Medikament, um vor allem die Lungenreifung ihres Babies zu beschleunigen. Kann dieses Präparat zweimal vor der Geburt verabreicht werden, stehen die Chancen auf eine Reifung der Lunge – und damit für das Überleben des Babies, erst einmal gar nicht so schlecht.

Hohes Risiko

Trotzdem: Extrem Frühgeborene haben meist einen langen Weg vor sich, bis sie das Krankenhaus in Richtung Kinderzimmer verlassen können. Die Teams auf den neonatologischen Intensivstationen setzen alles daran, den Frühchen nicht nur von Woche zu Woche dabei zu helfen, größer und stärker zu werden.

Auch spätere Behinderungen sollen möglichst verhindert werden – und das ist gar nicht so einfach, wie Dr. Ursula Vallazza – sie hat die neonatologische Intensivstation im SMZ-Ost in Wien mit aufgebaut und ordiniert heute als Kinderärztin in Mödling – im Interview mit News Leben berichtet:

„Viele Frühgeborene erleiden Hirnblutungen, die irreversible Schädigungen verursachen. Auch Darmschäden sind häufig.“ Frühgeborene werden deshalb extrem genau beobachtet, um eventuell auftretende Probleme sofort diagnostizieren und behandeln zu können. Gleichzeitig soll das Leben für die Frühchen aber so ruhig und gelassen wie möglich verlaufen – eine Gratwanderung für die SpezialistInnen für Frühgeborenen-Medizin, wie auch Klinikleiter Müller weiß: „Wir pflegen und betreuen unsere frühgeborenen Kinder rund um die Uhr. Es muss alles fehlerfrei passen. Das ist schwierig und herausfordernd.“

Hand in Hand-Strategie

Auf der einen Seite wird so viel Intensivmedizin wie nötig eingesetzt, um den Frühchen den Start ins Leben zu erleichtern. Auf der anderen Seite wird versucht, die frühgeborenen Kinder möglichst wenig Stress auszusetzen. Prof. Müller: „Unsere Station ist freundlich eingerichtet, es wird jeder Lärm vermieden.“ In der neonatologischen Station im Grazer Universitätsklinikum liegen maximal zwei Frühgeborene in einem Zimmer, um so viel Ruhe wie möglich gewährleisten zu können. Die Eltern werden intensiv in die Pflege und Betreuung der Kinder mit einbezogen. In Graz kümmert sich eine Psychologin um die Eltern Frühgeborener, denn „für alle Eltern ist mit der Frühgeburt die große Katastrophe passiert“, wie Wilhelm Müller festhält.

Mit „Loving Care“ versorgt“

Auf der Grazer Station für Neonatologie wird „Loving Care“ angewendet, ein Pflegeprinzip, „ohne Geräuschpegel, ohne grelles Licht, mit viel taktiler und basaler Stimulation für die Kinder“, wie Abteilungsvorstand Müller festhält.

Beatmet wird nur, wenn es unbedingt sein muss, weil die Lunge noch zu unreif ist – in diesem Fall wird auch Surfactant gegeben, ein Medikament, das die Lungenreifung beschleunigt, für Müller „eine der wirksamsten Maßnahmen in der Neonatologie.“ Sehr häufig kann die Beatmung über die Luftröhre dann sehr rasch durch eine Nasenbeatmung ersetzt werden. Diese ist viel weniger invasiv und belastend für die Neugeborenen.

Winzige Persönlichkeiten

Für den Neonatologen Wilhelm Müller ist die Arbeit mit den extrem früh geborenen Kindern eine Herausforderung, aber eine, der er sich täglich gerne stellt: „Jedes einzelne dieser Frühgeborenen liegt uns am Herzen.“ Und er hält weiter fest: „Sie sind auch alle durchaus schon winzig kleine Persönlichkeiten, jedes Kind hat sein eigenes Profil.“

Die neonatologische Intensivstation an der Grazer Universitätsklinik verliert „ihre“ Frühchen übrigens auch nach der Entlassung lange Zeit nicht aus den Augen: „Wir kontrollieren bis zum Schuleintritt regelmäßig nach, wie sich das Kind entwickelt.“ Denn leider verlassen nicht alle extremen Frühchen die neonatologische Intensivstation gesund, manche sterben. Das Risiko ist umso höher, je früher ein Baby auf die Welt kommt.

Von jenen Babies, die in der 23. Schwangerschaftswoche auf die Welt kommen, überleben zwischen 20 und 30 Prozent. Ab der 24. Schwangerschaftswoche liegt das Überleben bei 50 Prozent und ab der 25. Schwangerschaftswoche überleben bereits mehr als 80 Prozent der Babies. Nicht alle allerdings überstehen ihre Frühgeburt und die darauffolgende Intensivbehandlung ohne Schäden: „Bei den kleinsten Gewichtsklassen weisen zehn bis 15 Prozent der Kinder eine schwere Behinderung auf, 15 Prozent sind leicht eingeschränkt und 70 Prozent sind gesund“, erklärt Neonatologe Müller. Bei Kindern, die mit einem Geburtsgewicht von mehr als 1.000 Gramm auf die Welt kommen, verlassen allerdings bereits rund 90 Prozent der Kinder die Station gesund.

Die Ursachen für auftretende Behinderungen sind weitgehend ungeklärt, wie Neonatologin und Kinderärztin Ursula Vallazza erläutert: „Teilweise werden sie auf die Unreife der Organe des Kindes aufgrund der Frühgeburtlichkeit zurückgeführt, teilweise kommen sie sicherlich auch durch die verschiedenen Stresssituationen nach der Geburt zustande.“ Jene Frühgeborenen, die überleben, brauchen jedenfalls fast immer mehr Unterstützung, auch medizinische Hilfe. Für den Grazer Neonatologen Wilhelm Müller ist dabei eines oberster Grundsatz: „In der Betreuung kleiner Frühgeborener stellen wir das Wohl der kleinen Patienten zuoberst. Für übertriebenen Ehrgeiz, wie das kleinste Frühgeborene durchbringen zu wollen, ist da kein Platz.“

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