Das Bewerbungsverfahren

Randnotizen zu einem kooperativen Sprachspiel. Bewerbungen sind in der modernen Gesellschaft ein alltägliches und unverzichtbares Sprachspiel. Doch leicht gerät aus dem Blick, dass dieses Sprachspiel kooperativ ist.

Gegebene Anlässe gibt es reichlich, also wendet sich der Verfasser einem der teuflischsten Kommunikationsmuster zu, das zumindest die westliche Hemisphäre je ersonnen hat: der Bewerbung. Wie viele Hoffnungen, Ängste, Sorgen, Jubelarien sind mit diesem komplexen Sprachspiel verbunden, das bisweilen relativ unscheinbar mit einer Zeitungsanzeige oder einem Internet-Link beginnt und über den massenhaften Gebrauch von Kopiergeräten, endloses Belecken von Briefmarken, den Kauf eines neuen Anzugs schließlich zu einem Besuch des potenziellen Arbeitgebers führt, wo dann allerlei neue (tiefenpsychologische?) Erfahrungen etwa in Form eines Assessment Centers auf den Bewerber/die Bewerberin warten.

Die Bewerbung als kooperatives Sprachspiel

Die Bezeichnung Sprachspiel ist nicht von ungefähr gewählt; man stellt sich kommunikative Handlungen wie eine Art Spiel vor, bei dem die Mitspieler nach bestimmten Regeln ihre Züge, sprachlichen Äußerungen machen, um ihre Ziele zu erreichen. Je nach Interessenlage können diese Spiele kooperativ oder konfliktartig sein. Ernst sind sie allemal; vielleicht deshalb brauchen beide Seiten viel Humor.

Der Bewerber verliert im Bewerbungsverfahren oft aus den Augen, dass dieses Sprachspiel kooperativ ist; der Spielzweck besteht darin, eine Stellenvakanz aus der Welt zu schaffen, indem man sie mit einem möglichst geeigneten Kandidaten besetzt. Dazu müssen, es ist wie erwähnt ein recht komplexes Sprachspiel, beide Seiten verschiedene Phasen durchlaufen, und zwar 1. die Thematisierung der Stellenvakanz, 2. die Passungsüberprüfung, 3. die Schaffung einer bindenden Tatsache (Arbeitsvertrag).

Die Stellenvakanz

Gewöhnlich macht der potenzielle Arbeitgeber den ersten Schritt und auf eine freie Stelle in seiner Organisation aufmerksam; zu diesem Zweck erstellt er ein ideales Bewerberprofil, eine Wunschliste gewissermaßen, in der er mehrere (teils widersprüchliche) Eigenschaften des künftigen Mitarbeiters aufzählt; diszipliniert soll er/sie sein, kreativ, teamfähig, eigenständig, jung und erfahren. Diese Widersprüchlichkeit ist bereits das erste Auswahlkriterium; nur wer sie relativ kaltblütig aushält, bleibt im Rennen.

Es ist aber nicht ausgeschlossen, dass der/die Bewerber(in) mit einer Initiativbewerbung den Kontakt sucht; der Vorteil: Man geht pro-aktiv vor und beweist Eigenantrieb; der Nachteil: Man läuft Gefahr, sofort mit dem Schreiben im Papierkorb zu landen. Aber das ist eine andere Geschichte, die eher das Image der betreffenden Organisation betrifft. Darum:

Die Passungsüberprüfung

A. Nun ist der/die Bewerber(in) am Zug, und zwar in aller Regel mit einem Anschreiben, das sich inhaltlich auf die Anzeige bezieht. Auf diese Weise wird Kohärenz, also ein inhaltlicher Zusammenhang (ebenfalls ein typisches Merkmal eines Sprachspiels) hergestellt. Dieses Anschreiben hat zwei Teilzwecken zu dienen; es hat zum einen nachzuweisen, dass der/die Kandidat(in) sachlich den Anforderungen des Stellenprofils genügt (Kompetenznachweis), zum anderen aber auch die besondere Motivation des/der Bewerber(in) aufzuzeigen (Relevanznachweis). Dazu dient der Lebenslauf, verbunden mit Zeugnissen und Zertifikaten (‚Ich bin ja dazu geboren worden, um bei Ihnen zu arbeiten’), bzw. das Stellengesuch, der Aufweis der Motivation (‚Die Stelle ist deshalb für mich so interessant, weil …’).

B. Aus den nach Ansicht des Arbeitgebers passendsten Anschreiben werden die geeignetsten ausgewählt, deren Verfasser(innen) in den Genuss eines persönlichen Gesprächs kommen. Dieses Einstellungsgespräch bedient sich im Kern des Frage-Antwort-Sprachspiels, und zwar in symmetrischer Weise. Zunächst geht der potenzielle Arbeitgeber auf kritische Punkte ein; im Mittelpunkt stehen die konkrete Eignung und die Identifikation mit der Organisation. Im Anschluss daran hat jedoch der/die Bewerber(in) die Möglichkeit, gezielte Fragen zu dem Arbeitsplatz zu stellen, eine Chance, die oft nicht ergriffen wird. Dabei hat er/sie hier die Möglichkeit, den Spieß umzudrehen und überdies die Eigenmotivation noch einmal zu unterstreichen, indem er/sie signalisiert, sich mit der Organisation beschäftigt zu haben. Die Frage, wie gut das Kantinenessen ist, ist dabei eine eher suboptimale Variante.

Der Arbeitsvertrag

Mit der Unterzeichnung des Arbeitsvertrags ist eine juristisch bindende Tatsache geschaffen; wieder einmal hat man mit Sprache die Welt verändert.

Kommunikatives Wettrüsten

Vielleicht, weil es sich um solch ein komplexes Sprachspiel handelt, das ja von Wechselseitigkeit lebt, spielt der Strategieaspekt eine so große Rolle, dass Arbeitgeber und Bewerber ihre Spielzüge zunehmend auslagern und in die Hände bewährter(?) Berater geben. Eine Heerschar von Headhuntern, Arbeitspsychologen, Eignungsdiagnostikern, Bewerbungstrainern (meist Selbstständige!), gewissermaßen an der Grenze zwischen Zuschauern und Mitspielern situiert, bringt sich ein. Vorbei die Zeiten, als man einen Matrosen in der örtlichen Schenke mit allerlei Rum abfüllte, um ihn am nächsten Morgen auf hoher See wieder aufwachen zu lassen, ehe man ihn zum Deckschrubben verdonnerte. Nein, heutzutage muss man von einem kommunikativen Wettrüsten der Spielpartner sprechen, in immer kürzeren Abständen werden die ultimativen Fragebögen und die Modefarbe der Bewerbungsmappe abgeändert. Beide Seiten sind bei ihrem Gegenüber auf unendlich vieles gefasst, und unter diesen Bedingungen überrascht es schon ein wenig, dass das Sprachspiel eben doch noch funktioniert. Aber es hängt eben (zu?) vieles davon ab: Lebensstandard, Familienbildung, Selbstwertgefühl, Arbeitsatmosphäre, weitere Arbeitspsychologen. Und so weiter.

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