Das literarische Satzbausystem – Vom ersten Entwurf zum literarischen Text

Stephen King schreibt den ersten Entwurf eines Romans in einem Rutsch nieder. Dieser Text gleicht einem nackten Menschen, der noch seine Toilette machen muss. Kleider müs.

Von der klaren Aussage zum literarischen Satz

Überarbeitung zeichnet den Autor aus. Jeder kann Worte niederschreiben. Papier ist bekanntlich ja geduldig. Das sind Ihre Leser aber nicht. Lassen Sie sich deshalb von Autoren wie Stephen King ermutigen, und arbeiten Sie weiter mit dem Text Ihres ersten Entwurfs. Es wird sich lohnen. Für Sie und für Ihre Leser.

Wie sollen Sie anfangen?

Ganz einfach. Nehmen Sie sich Satz für Satz vor.

Vielleicht haben Sie geschrieben: Das Kind ging die Treppe hinauf.

Nun, dies ist eine einfache und klare Aussage, die jeder versteht. Der Satz transportiert eine Information, Fakten; aber er regt nicht die Vorstellung der Leser an. Wie kann er verbessert werden?

Zerlegen Sie ihn in Subjekt, Verbum und Objekt.

Das Kind / ging / die Treppe hinauf.

Stellen Sie zu jedem der drei Teile Fragen.

  • Wer geht die Treppe hinauf? Ist es ein kleines Kind; ein deutsches oder ein Migrantenkind? Ein dickes oder schlankes? Ist es fröhlich oder ängstlich? Flüchtet es? Springt es voller Freude? Humpelt es Stufe für Stufe?
  • Wo ist die Treppe? Sind wir in einer Villa, im Kaufhaus oder im Hochhaus? Oder befinden wir uns in einer Burg? Ist es eine Wendeltreppe oder die Stiege zum Dachboden? Oder eine Terrassentreppe? Kellertreppe?

Stellen Sie Fragen an den Text

Beantworten Sie diese Fragen, und ich verspreche Ihnen, dass Sie und Ihr Leser ein klareres Bild vor Augen haben werden.

Ich habe mich so entschieden:

Die Waise schlich die Wendeltreppe des Schlosses hinauf.

Jetzt hat der Leser eine Vorstellung, von wem hier erzählt wird, wie die Person sich bewegt und wo sie sich befindet.

Aber es bleiben immer noch Fragen offen:

Ist es morgens oder abends oder später Nachmittag? Sommer oder Herbst? Was kennzeichnet die Person? Wie ist das Wetter? Stellen Sie sich vor, es geht um ein Findelkind, welches durch ein kaltes und dämmeriges Gemäuer geht. Dann sähe der Satz so aus:

In der Abenddämmerung schlich die Waise die Wendeltreppe des Schlosses hinauf und fröstelte.

Schon besser. Aber seien Sie noch präziser. Kälte lässt an Winter denken und eine Waise trägt möglicherweise ärmliche Kleidung.

In der Abenddämmerung schlich die Waise die Wendeltreppe des Schlosses hinauf; die Hände hatte sie fröstelnd in die Taschen der geflickten Schürze gestopft.

Versuchen Sie es selbst

Sehen Sie, wie einfach Sie mit gezielten Fragen einen Text überarbeiten und ihm mehr Leben einhauchen können? Regen Sie Ihre Vorstellungskraft durch gezielte Fragen an. Lassen Sie Ihrer Fantasie Freiheit, damit sie Ihnen Bilder, Eindrücke und Details übermittelt. Ihre Aufgabe ist dann, dieses Material in literarische Sprache umzusetzen.

Haben Sie Lust, ein bisschen zu üben?

Dann arbeiten Sie mit diesen Sätzen:

Die Frau bürstete sich die Haare.

Der Mann ging die Straße entlang.

Das Auto fuhr in die Kurve.

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