Der Autismus und seine Syndrome

Der Mangel an Informationen über Autimus führt zu zahlreichen Vorurteilen in der Bevölkerung und zu gesellschaftlichen Nachteilen für autistische Menschen.

Autismus ist eine tiefgreifende Entwicklungsstörung des Gehirns. Er ist angeboren und bis dato nicht heilbar. Sein Hauptmerkmal ist ein von der Norm abweichender Modus bei der Verarbeitung von Information im Gehirn. Diese Wahrnehmungsstörung kann in einer ganzen Palette von Symptomen in unterschiedlicher Ausprägung zum Ausdruck kommen. Autismus ist jedoch weder eine Geistesbehinderung, noch eine Psychose. Diese Tatsache ist für das Selbstverständnis autistischer Menschen von großer Bedeutung.

Begriffsbildung

In die Wissenschaft eingeführt wurde der Begriff Autismus im Jahr 1911 durch den Schweizer Psychiater Eugen Bleuler. Er rechnete ihn noch zum Erscheinungsbild der Schizophrenie. Die Österreicher Leo Kanner und Hans Asperger wiesen jedoch in ihren Studien von 1943 bzw. 1944 die Unterschiede zwischen dem schizophrenen und dem autistischen Störungsbild nach. Während sich schizophrene Personen aktiv von der Außenwelt zurückziehen, ist der Zustand der Zurückgezogenheit bei Autisten angeboren und stabil.

Formen des Autismus

  • Allgemein am bekanntesten ist der frühkindliche Autismus. Diese auch Kanner-Syndrom genannte Autismusvariante wird in Abhängigkeit vom jeweiligen geistigen Leistungsvermögen der Betroffenen in Low, Intermediate und High Functioning Autism (LFA, IFA, und HFA) unterteilt.
  • Eine Sonderform des frühkindlichen Autismus ist der sogenannte atypische Autismus. Da er nicht alle Diagnosekriterien des Kanner-Syndroms erfüllt oder sich erst nach dem dritten Lebensjahr manifestiert, erscheint seine Sonderstellung gerechtfertigt.
  • Eine dritte Form des Autismus stellt das Asperger-Syndrom dar. Da es in vielen Fällen unentdeckt bleibt und sich die Betroffenen ihrer Eigenart oft nicht bewusst sind, blieben die Asperger-Autisten bis in die jüngste Zeit weitgehend unbeachtet. Sie wurden in der Öffentlichkeit allenfalls als eigenartige Sonderlinge wahrgenommen, die sich den sozialen Spielregeln entzogen. Da es zwischen dem Asperger-Syndrom und dem HFA keine signifikanten Unterschiede zu geben scheint, werden beide Begriffe oft synonym verwendet.

Die Symptome des Kanner-Autismus

Der Autismus umfasst ein breites Spektrum unterschiedlicher Behinderungszustände. Sie können von Fall zu Fall ungleich ausgeprägt sein. Das Kanner-Syndrom oder der frühkindliche Autismus ist gekennzeichnet durch eine stark eingeschränkte Befähigung zum Spracherwerb. Nicht selten leiden die Betroffenen zusätzlich unter motorischen Koordinationsstörungen. Während der LFA mit geringem geistigen Leistungsvermögen einhergeht, zeichnen sich Autisten mit HFA durch ein normales Intelligenzniveau oder gar durch Hochbegabung aus.

Erste Auffälligkeiten lassen sich ab dem zehnten bis zwölften Lebensmonat diagnostizieren. Je nach Ausprägung kommt es zu einem Ausfall oder zu einer Verzögerung der Sprachentwicklung. Einerseits fallen HFA-Autisten durch eine in Stil und Grammatik hochstehende Sprache und einen übergenauen, eintönigen Sprechstil auf. Andererseits sind sie kaum in der Lage, Blickkontakt zu halten, eine Unterhaltung zu beginnen oder fortzuführen. Zudem sind sie kaum fähig, Ironie und Metaphern zu verstehen und selbst anzuwenden. Gefühlsäußerungen werden oft missinterpretiert oder gar nicht erst verstanden.

Durch den ausgeprägten Mangel an nonverbalen Verhaltensweisen wie Mimik und Gestik haben die Betroffenen große Probleme, soziale Beziehungen zu anderen Menschen aufzubauen. Aggressionen und Wutausbrüche tragen zur Erschwerung des Aufbaus sozialer Kontakte bei. Neben diesen sozialen und emotionalen Beeinträchtigungen zeigen Kanner-Autisten ein starres Festhalten an stereotypen Gewohnheiten. Unerwartete Ortswechsel oder Veränderungen der gewohnten Umgebung führen deshalb zu erheblichen Irritationen. Typisch für Autisten ist auch die unentwegte Beschäftigung mit Teilen von Objekten.

Die Symptome des Asperger-Syndroms

Das Asperger-Syndrom ist eine weniger schwere Form des klassischen Autismus. Es tritt ungefähr ab dem vierten Lebensjahr in Erscheinung. Ähnlich wie bei dem Kanner-Syndrom fehlt den Betroffenen der Wunsch nach sozialer Interaktion sowie die Fähigkeit, nonverbal zu kommunizieren. Hinzu kommen das Vermeiden von Blick- und Körperkontakt, Unsicherheit im belanglosen Gespräch oder beim Telefonieren sowie Unverständnis sozialer Spielregeln. Viele Asperger-Autisten verfügen deshalb kaum über einen nennenswerten Freundeskreis. Das für das Fortkommen im Berufsleben unerlässliche Knüpfen von Netzwerken gelingt ihnen zu ihrem Nachteil ebenfalls nicht.

Als Erwachsene unterscheiden sich viele Asperger-Autisten nicht von HFA-Autisten. Häufig beobachtet man das gleichzeitige Auftreten von überdurchschnittlicher Intelligenz oder von Begabungen auf ganz speziellen, z.T. exotischen Fachgebieten (Inselbegabungen). Damit einher geht ein außergewöhnliches Fachwissen. Der Alltag der Asperger-Autisten wird durch auffällige Gewohnheiten bestimmt, die strikt eingehalten werden. Deshalb gelten viele Betroffene bei ihren Mitmenschen als kauzige Exzentriker.

Die gesellschaftliche Akzeptanz der Autisten in Deutschland

Durch den Spielfilm „Rain Man“ (1988) mit Dustin Hoffman in der Hauptrolle wurden die Begriffe Autismus bzw. Autist einem breiteren Publikum bekannt gemacht. Der Film hat den amerikanischen Inselbegabten Kim Peek (verstorben am 19.12.2009) zum Vorbild, der über extrem außergewöhnliche Begabungen verfügte. Peek war jedoch kein reiner Autist. Er besaß die seltene Diagnose des Savant-Syndroms, von dem jedoch etwa die Hälfte aller Autisten betroffen sein soll. Immerhin verdanken wir nicht zuletzt der grandiosen schauspielerischen Leistung Dustin Hoffmans, dass die Autisten ein wenig in den Blickpunkt der Öffentlichkeit gerückt sind.

In den meisten Ländern führen Autisten im wahrsten Wortsinne eine Randexistenz. So auch in Deutschland. Besonders die Asperger-Autisten sind aus schlichter Unkenntnis seitens ihrer „normalen“ Mitmenschen zahlreichen Diskriminierungen und Benachteiligungen ausgesetzt. Die Autismus-Forschungs-Kooperation (AFK) in Berlin, in der Wissenschaftler und Autisten zusammen arbeiten, hat sich zum Ziel gesetzt, das Wissen über Autismus in der Bevölkerung zu verbessern und Vorurteile abzubauen.

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