Die Medizin und der Tod – der inhumane Umgang mit Sterbenden

Ist es der apparativen Medizin erlaubt, den Tod hinauszuzögern?

Die in den letzten Jahren mit besonderem Engagement geführte Diskussion um ein menschenwürdiges Sterben gründet in der modernen Medizin, die den Tod in immer größerem Maße zu beeinflussen vermag. So bietet sie Möglichkeiten, das menschliche Sterben künstlich hinauszuzögern, doch lassen die enormen Fortschritte der Medizin den Eindruck entstehen, Leben und Gesundheit seien hauptsächlich eine Frage des therapeutischen Aufwands.

Ehrfurcht vor dem Leben?

Die Ehrfurcht vor dem Leben läuft Gefahr, entweder als Aufgabe zur Todesbekämpfung um jeden Preis interpretiert zu werden, sei es aus falsch verstandenem ärztlichen Auftrag oder unter dem Sachzwang der zur Verfügung stehenden Technik, oder aber sie hat dort als Alibifunktion zu dienen, wo der Tod als inakzeptabel verdrängt werden soll. So wird die Überführung des Todkranken in das Krankenhaus vielfach zum Beginn einer schweren Leidenszeit, in der sich der Sterbende als anonymes und bloßes Objekt des Krankenhausapparates erfährt. Der Arzt Sherwin Nuland macht dies in folgenden eindringlichen Worten deutlich:

„Wir haben eine moderne Form des Sterbens geschaffen. Gestorben wird heute im Krankenhaus. Der Sterbende wird von der Außenwelt abgeschottet, klinisch sauber gehalten und zuletzt zum Begräbnis abtransportiert. Wir können heute nicht nur den Stachel des Todes, sondern auch die Macht der Natur schlechthin leugnen. Wir legen die Hand vor die Augen, um den Anblick des Schrecklichen zu ersparen, spreizen die Finger aber doch ein wenig, denn irgend etwas in uns kann einem heimlichen Blick nicht widerstehen.“

Menschenwürdiges Sterben

Doch sind es nicht nur die technischen Möglichkeiten der Medizin allein, die das Bedürfnis nach einem menschenwürdigen Sterben aktualisieren. Es wird maßgeblich mitbestimmt durch die tief beunruhigende Vorstellung, einmal in einen als unwürdig empfundenen Zustand der Bewusstseinsstörung, Ohnmacht und hilflosen Abhängigkeit zu geraten. Die Furcht vor dem Ausgeliefertsein und der Verlassenheit in fremder Umgebung in den letzten Tagen und Stunden des Lebens übertönt heute bei manchem die Furcht vor dem Sterben als solchem.

Diese Diskrepanz akzentuiert zutreffend der Theologe Hans Küng, wenn er schreibt:

„Nicht verwunderlich, daß viele Menschen Angst haben nicht vor Schmerzen und Leiden, sondern auch vor dem Gefangensein in einem hochtechnisierten medizinischen System, vor der totalen Abhängigkeit und dem Verlust der Kontrolle über das eigene Ich, vor lauter Schmerzmitteln nur noch dösig, schläfrig, nicht mehr denkend, nicht mehr trinkend, nicht mehr erlebend.“

Apparatemedizin

In der heutigen Zeit verbinden viele Menschen die technischen Errungenschaften und Fortschritte der Medizin mit dem bereits genannten, vielfach vor allem von den Medien entworfenen Bild einer Apparatemedizin, die die zum Tode geweihten Patienten in der kalten und tristen Atmosphäre von Intensivstationen an eine Vielzahl von Schläuche, Kabel und andere diverse Gerätschaften fesselt, sie scheinbar endlos dahinvegetieren lässt und an einem natürlichen Sterben hindert. So gerät der medizinische Fortschritt aus dieser Perspektive in den Verdacht, nicht mehr den Menschen zu dienen, sondern in inhumaner Weise diese zum bloßen Objekt der Technik herabzuwürdigen. So scheint es nicht verwunderlich, dass immer mehr Menschen zu Lebzeiten Patientenverfügungen schreiben. Mit diesen wollen die Menschen in Lebenszeiten der Not, der Krankheit, der Irreversibilität und der Todesnähe über sich selbst verfügen.

Sterben, Tod und Würde

Doch aller medizinische Fortschritt wird die Grundbedingung des menschlichen Lebens nicht aufheben können: ein Ende zu haben und um dieses Ende zu wissen. Die Medizin muss diese Grundparadoxie oder dieses Grunddilemma substantiell anerkennen: heilen zu wollen, was letztlich nicht zu heilen ist. Über der uralten Hoffnung des Menschen, Krankheit und Tod zu besiegen, haben Sterben und Tod ihre Würde verloren.

Fazit: Die moderne Medizin hat in den letzten Jahren enorme Fortschritte zu verzeichnen. Durch den Einsatz moderner medizinischer Technologie ist es möglich, menschliches Leben in Situationen zu erhalten, in denen früher eine Rettung undenkbar und der Tod unausweichlich gewesen wären. Doch diese Entwicklung hat nicht nur positive Seiten. Sie führt dazu, dass in manchen Fällen der Tod fast beliebig lang hinausgezögert und ein bloßes, mitunter vollkommen bewusstloses Dahinvegetieren noch monate- und (wenn nicht sogar) jahrelang aufrechterhalten werden kann. So können Patienten, die sich bereits mit ihrem baldigen Tod abgefunden haben, ja ihn vielleicht herbeisehnen, unter Umständen gegen ihren Willen von einer würdigen Beendigung ihres Lebens abgehalten werden.

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