Intelligenzforschung

Verdanken wir unseren Verstand allein den Genen oder der Prägung?

Ob Intelligenz angeboren ist, können Forscher bislang nicht eindeutig beantworten. Ließe sie sich später noch entwickeln, hätte das Folgen für Schule und Lebenslauf.

Wenn ein Kind geboren wird, machen sich Eltern meist nicht zu viele Gedanken über seine Intelligenz. „Hauptsache gesund“, sagen sie dann. Aber spätestens bei der Einschulung wird sie das Thema einholen. Wie steht es um den eigenen Sprössling? Wird aus ihm etwas werden? Hat er den sturen Schädel vom Papa geerbt oder das helle Köpfchen von der Mutti? Das ist eben die Frage: Kommen wir bereits klug auf die Welt oder nicht?

Gene oder Umwelt

Darüber streiten die Wissenschaftler. Die einen bestehen auf der Erblichkeit der Intelligenz, die anderen auf dem Einfluss der Umwelt. Selten sind sie dabei aber so extrem eindeutig wie Dr. Rindermann, der mit einem Interview für Aufregung und Empörung sorgte. Er stellte genetische Unterschiede in kognitiven Bereichen (Intelligenz) zwischen den drei großen Rassen Weißen, Schwarzen und Asiaten fest. In diesem Falle scheint der Wunsch der Vater des Gedankens zu sein, weil Dr. Rindermann keine Beweise für seine rassistische These liefern kann.

Die Forschung nach Genen, die ausschließlich für Intelligenz verantwortlich sind, brachte bis jetzt keinen Erfolg. In einer groß angelegten Studie verglich der englische Verhaltensgenetiker Robert Plomin mit seinem TeamGene und Intelligenztests von 7000 Kindern eines Jahrgangs und fand Unterschiede zwischen den Probanden mit den besten Intelligenzquotienten und jenen mit den schlechtesten. Diese Unterschiede bezogen sich auf sechs Gene, die allesamt nur etwa ein Prozent der individuellen Intelligenz ausmachten.

„Intelligenz ist, was ein Intelligenztest misst“,

Nicht nur die Suche nach der Herkunft der Intelligenz weckt heiße Debatten. Ihr Wesen entwischt auch den Gelehrten: Sie können Intelligenz nicht genau beschreiben. „Intelligenz ist, was ein Intelligenztest misst“, witzeln sie ausweichend.

Zum ersten Mal tat es vor einhundert Jahren der französische Psychologe Alfred Binet, der den ersten Test entwickelte und anwendete. Heute gibt es in Deutschland um die 80 verschiedenen Tests, die manchmal gravierende Unterschiede aufweisen. Allesamt aber ermitteln sie die Fähigkeit, komplexe Aufgaben zu lösen, wie auch den Einfallsreichtum, für Probleme möglichst vielfältige Lösungen zu finden.

Der Durchschnittswert jeden Tests liegt bei 100 und trifft auf ungefähr 50 % der Bevölkerung zu. Die hoch Begabten (IQ über 130) und jene mit deutlich verminderter Intelligenz (IQ unter 69) beziffern sich jeweils auf etwa zwei Prozent.

Mensa, der internationale Club der Hochintelligenten, bietet im Internet jedem eine Möglichkeit, sich selbst zu prüfen und einen Test durchzuführen.

Flynn-Effekt und das deutsche Schulsystem

Was aber misst ein Intelligenztest genau? In den 1980ern nahm James Flynn, ein Wissenschaftler aus Neuseeland, die Intelligenztest-Ergebnisse aus den 14 Industrieländern unter die Lupe. Dabei beobachtete er einen kontinuierlichen Zuwachs des Intelligenzquotienten um drei Punkte in einem Jahrzehnt. Das beschriebene Phänomen, unter dem Namen Flynn-Effekt bekannt, warf viele Fragen auf. Was wuchs denn so schnell? War das wirklich die Intelligenz? Keineswegs, antworteten die Befürworter der Gen-Theorien. So schnell können sich Gene gar nicht ändern. Die Umwelt aber schon, erwiderten die Umwelt-Gläubigen.

In den 1990ern meldeten Psychologen die Stagnation der IQ-Werte oder sogar ihren Regress und der Flynn-Effekt geriet in Vergessenheit.

Was haben diese wissenschaftlichen Dilemmas für eine Bedeutung für die unvoreingenommenen Eltern? Auf den ersten Blick kaum eine. Das ändert sich, wenn die Eltern z. B. mit der „Gen-Orientierung“ des deutschen Drei-Gliedrigen-Schulsystems konfrontiert werden. Dieses System selektiert Kinder sehr früh und scheint auf dem Glauben zu fußen, dass sich Intelligenz nicht entwickeln lässt.

Die Eltern, die damit nicht einverstanden sind, suchen auf eigene Faust außerhalb der Schule nach Lösungen. Sie tragen auf diese Weise dazu bei, dass hierzulande das Nachhilfeunterricht-Geschäft wie sonst nirgendwo blüht.

Da die Schule eher auf Durchschnitt eingestellt ist, fallen meist sowohl Schüler mit Lernschwächen als auch mit außergewöhnlich hoher Begabung durch das Raster. Auch in diesem Falle heißt es für Eltern und ihre Kinder: Hilf dir selbst und suche nach Verbündeten.

Mit der populärsten Schwäche – Legasthenie – setzt sich ein eigener Verband auseinender: der Bundesverband Legasthenie und Dyskalkulie.

Das Problem „hohe Begabung“ versucht das Bundesministerium für Bildung und Forschung in einer Broschüre zu erfassen. Ein außerschulisches Programm zur Förderung begabter Schüler bietet die Deutsche Schüler Akademie. Jedoch richtet sich ihr Angebot nur an 12- und 13-Jährige Gymnasiasten in eher bescheidenem Rahmen.

Einen gemeinsamen Raum für alle an der Schule beteiligten Personen versucht die Wissensschule zu verschaffen. Diese Internetplattform richtet sich nicht nur an Schüler, Eltern und Lehrer, sondern auch an Unternehmen, Hochschulen und Organisationen und lädt alle zur Diskussion ein.

Solch eine Grundsatzdiskussion über das deutsche Schulsystem könnte unter psychologischen statt politischen und ideologischen Aspekten geführt werden.

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