Migräne: Heimliches Leiden an der unheimlichen Erkrankung

Migränebetroffene verheimlichen ihre Erkrankung, aus Angst vor schlechtem Ruf und Jobverlust. Warum ist das so?

Will man keinen übermäßigen Spott ernten, niveaulose und meist sexuell konnotierte Witze hören oder gar als karriereuntauglich gelten, verschweigt man besser, dass und wenn man Migräne hat, denn diese Erkrankung ist nicht schick. Ein zerschmettertes Knie nach einer rasanten Pistenabfahrt, der Tennisarm nach einem kultivierten Match auf dem Grün, selbst einfache Rückenschmerzen machen mehr her als die Ankündigung, dass man sich mindestens für heute ins dunkle Zimmer zurückzieht und nicht gestört werden möchte, wegen der Migräne.

Der schlechte Ruf der Migräne und die Gründe

Vielleicht liegt es daran, dass die Deutschen ein sehr belesenes Volk sind und fest an etwas glauben, was sie schon in jungen Jahren bei Erich Kästner erfahren haben – nämlich, dass Migräne Kopfschmerzen sind, auch wenn man keine hat. Nachzulesen in Pünktchen und Anton, es wird Direktorin Pogge beschrieben, eine Frau. Und damit sind die Faktoren des schlechten Rufes im wesentlichen auch schon zusammengefasst: weiblich, zimperlich, wenig belastbar, labil, etwas überspannt, hysterisch, der klassische Drückeberger eben. Dieses Vorurteil haftet der Migräne hartnäckig an und damit auch den Migränikern, egal, ob sie weiblich oder männlich sind.

Vielleicht liegt es aber auch daran, dass ein zerschmettertes Knie nicht für jedermann nachzuvollziehen ist, Kopfschmerzen aber schon. Fast jedem hat der Kopf schon mal weh getan, bei vielen wird daraus die Gewissheit, mitreden zu können und zu müssen, wenn es um Migräne geht. Dies scheint ein sehr menschlicher Zug zu sein und betrifft auch andere Krankheiten. Aber, nur weil man schon mal traurig war, kennt man keine Depression und so ist auch nicht jeder Kopfschmerz eine Migräne.

Was bedeutet Migräne für den Betroffenen?

Zu den Kopfschmerzen in ihrer spezifischen Qualität kommen bei einer Migräne immer auch Schwindel und Übelkeit hinzu. Die körperliche und geistige Leistungsfähigkeit ist deutlich reduziert, bei manchen Formen treten zusätzlich noch neurologische Ausfallerscheinungen auf, Sprech- und Sehstörungen zum Beispiel. In diesem Zustand ist der Alltag schon sehr beschwerlich und manchmal zu viel. Trotzdem verschweigen Migräniker ihre Erkrankung oft und schleppen sich auch im Akutfall zur Arbeit. Nach Ansicht von Hans-Christoph Diener vom Universitätsklinikum und Westdeutschen Kopfschmerzzentrum in Essen liegt das daran, dass die Nichtbetroffenen in der Mehrheit nicht bereit sind, die Migräne als tatsächliche Erkrankung anzusehen. Das herrschende Vorurteil, dass Migräne nur eine Ausrede ist, wirkt so stark, dass Migräniker, um nicht als Drückeberger abgestempelt zu werden, ihre Erkrankung lieber verheimlichen.

Mit Migräne zur Arbeit, ist das sinnvoll?

Hans-Christoph Diener weiß, dass diese Denkweise der Migräniker nicht aufgeht. Auch unter medikamentöser Behandlung eines Anfalls ist die Leistungsfähigkeit noch um bis zu 50 Prozent eingeschränkt und damit liegt die Arbeitsleistung deutlich unter dem Durchschnitt. Abgesehen davon, dass es für die Betroffenen eine Qual ist, im Akutfall bei der Arbeit zu sein, hilft es ihnen nicht und dem Arbeitgeber auch nicht, ein wirtschaftlicher Schaden entsteht in jedem Fall. Würde der Betroffene zu Hause bleiben, bestünden gute Chancen, dass er mit ausreichender Medikation den Anfall gut überstehen kann und nicht, aufgrund von weiterer Belastung, zu größeren Mengen Schmerzmitteln greift, was den Kopfschmerz unterhalten und zu einem eigenen Kopfschmerzsyndrom führen kann.

Das Verständnis für diese Erkrankung hat sich in den letzten Jahren deutlich verbessert, aber in den Köpfen der meisten Menschen sind die Vorurteile immer noch so stark, dass Migräniker es vorziehen, sich zu verstecken. Daher plädieren Mediziner für eine bessere Aufklärung, auch die Migräniker sollten in ihrem beruflichen und privaten Umfeld offen mit der Erkrankung umgehen. Und bei den Nichtbetroffenen sollte sich die Akzeptanz der Erkrankung erhöhen, damit diese ihr unheimliches Wesen verliert und nicht mehr heimlich sein muss.

Behandlungsmöglichkeiten der Migräne

Für die Behandlung der Migräne gibt es viele Ansätze. Da die Ursache und die auslösenden Faktoren nicht sicher geklärt sind, gibt es derzeit auch kein Allheilmittel für alle Betroffenen. Als hilfreich haben sich die medikamentöse Prophylaxe, Medikamente für den Notfall, Entspannungsverfahren, eine angepasste Lebensführung, Psychoedukation und die Kombination von Betablockern und Verhaltensänderungen herausgestellt. Immer wieder wird auch der Nutzen von zusätzlichen Interventionen diskutiert und erforscht, zum Beispiel der Einsatz von Botulinum-Toxin oder alternative Heilmethoden.

Ein grundsätzliches Verständnis oder zumindest eine Akzeptanz der Erkrankung würde vielen Migränikern schon helfen. Auch das Unterlassen der gut gemeinten Ratschläge von Mitmenschen wäre wünschenswert und damit sind vielleicht auch schon die ersten Schritte getan, dass die für Viele unheimliche Erkrankung von den Betroffenen nicht mehr geheim gehalten werden muss.

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