Modellkompetenz – ein missachtetes Softskill

Die Modell- oder Modellierungskompetenz wird vor allem in der Mathematikdidaktik diskutiert. Dabei spielt diese Kompetenz eine wesentlich umfassendere Rolle.

Der Begriff des Modells umfasst nicht nur die mathematische Abbildungen von realen Phänomenen, sondern sämtliche Abbildungen. Wichtig dabei ist, dass Modelle „idealisieren“, beziehungsweise abstrahieren. Selbst Liebesgedichte können so als Modelle aufgefasst werden.

Welche kognitiven Fertigkeiten muss man für die Modellkompetenz einüben?

Hier zunächst ein Überblick:

  • Vergleich/Parallelisieren zwischen Modell und Original;
  • Anwendungsbereiche von Modellen bestimmen können;
  • Grenzen von Modellen bestimmen können;
  • Modelle adäquat/funktional auswählen können;
  • Modelle und weitere wissenschaftliche Kompetenzen (Problematisieren, Hypothesen aufstellen, etc.) zueinander in Bezug setzen können;
  • Modelle abändern, erweitern, reduzieren, zusammenführen, kritisieren und erfinden können.

Vergleich/Parallelisieren zwischen Modell und Original

Ein Modell beansprucht immer, ein Stück Wirklichkeit erklären zu können. Ob das dem Modell gelingt, hängt davon ab, wie sensibel es entworfen wurde.

Zum Beispiel ist die Maslowschen Bedürfnispyramide ein relativ komplexes Modell. Es umfasst fünf Stufen, die jeweils noch in sich unterteilt sind. Zudem bildet Maslow auf dieses Modell noch bestimmte Funktionen ab, zum Beispiel, dass „niedrigere“ Bedürfnisse zuerst befriedigt werden müssen, bevor „höhere“ Bedürfnisse für den jeweiligen Menschen akut werden.

Wenn man dieses Modell nutzt, muss man sich ein Original suchen, das heißt in diesem Fall einen Menschen. Im Vergleich stellt man fest, ob und welche Parallelen es zwischen der Realität und der Abbildung gibt.

Es mag durchaus sein, dass man alle Bedürfnisse, die Maslow aufzählt, an einem Menschen feststellt, dass man aber mit der Reihenfolge der Bedürfnispyramide nicht zufrieden ist. Gerade bei Modellen aus der Psychologie ist diese Kombination von Zufriedenheit und Unzufriedenheit üblich.

Daten und Zufall

Die Mathematik hat beim Parallelisieren, beziehungsweise beim mathematische Modellieren einen großen Vorteil. Sie behauptet erst gar nicht, dass sie die Realität vollständig abbildet. Im Gegenteil entsinnlicht sie diese und arbeitet nur gewisse wichtige Zusammenhänge heraus.

So ist es auch üblich, dass reale Daten für die Modellierung geglättet werden. Realen Daten haben immer eine gewisse Streubreite, sei es durch Messfehler, sei es dadurch, dass in der Realität der Zufall einen gewissen Einfluss hat. Die Mathematik formuliert hier einen idealtypischen Verlauf. Auf diese Weise kann sie Zusammenhänge aufzeigen, die eine umfassende Datenmenge auf den ersten Blick nicht sichtbar macht.

Anwendungsbereiche von Modellen bestimmen können

Modelle betreffen immer bestimmte Fachgebiete. Zu dieser Teilkompetenz gehört das Wissen und das Gespür, in welchem Bereich ein Modell hilfreiche Erklärungen liefern kann.

Dies muss nicht immer der ursprüngliche Bereich sein, für den das Modell entwickelt wurde. So hat sich mit Sicherheit der Entwicklungspsychologe Jean Piaget nicht träumen lassen, dass sein Modell der geistigen Entwicklung Pate für die Künstliche Intelligenz und die Entwicklung objektorientierter Programmiersprachen wurde.

Es gehört zu den kreativen Fähigkeiten dieser Kompetenz, solche neuen Anwendungsmöglichkeiten zu sehen.

Grenzen von Modellen bestimmen können

Hier finden sich eigentlich zwei Teilkompetenzen versteckt.

Die erste hängt mit der vorhergehenden eng zusammen. Genauso, wie man Anwendungsbereiche von Modellen bestimmen kann, ist es wichtig zu wissen, in welchen Bereichen ein Modell unsinnig ist.

Die zweite Teilkompetenz ist kniffliger. Jedes Modell abstrahiert und idealisiert. Dadurch hat es nur eine gewisse Reichweite in seinen Erklärungsmöglichkeiten. Wie weit ein Modell in der Praxis hilfreich ist, ist eine Sache der Erfahrung. Das heißt auch, dass ein Mensch, der ein Modell anwendet, kritisch darauf reflektieren muss, wann eine Erklärung in Dogmatismus umkippt.

Modelle adäquat/funktional auswählen können

Vielfach begegnen uns in einem Fachgebiet sehr unterschiedliche Probleme. Um diese zu lösen, sind Modelle günstig.

Aber nicht jedes Modell ist für jeden Problemlöseprozess sinnvoll. Manchmal sind bestimmte Modelle eher Umwege für das Problemlösen. Manchmal sind die Modelle zu umfangreich oder nicht differenziert genug.

Die Auswahl von geeigneten Modellen betrifft also die Ökonomie des Problemlösens. Dies ist keine einfache Aufgabe. Auch hier sind teilweise jahrelange Erfahrungen erforderlich, um zu raschen und guten Ergebnissen zu kommen.

Modelle und weitere wissenschaftliche Kompetenzen zueinander in Bezug setzen können

Viele wissenschaftliche Kompetenzen beziehen sich auf den Umgang mit Modellen.

Ein Beispiel: Wenn man eine Hypothese aufstellt, formuliert man ein begrenztes Problem. Solche Hypothesen beziehen sich immer auf bereits erklärtes Wissen und damit auf ein dazugehöriges Modell. In diesem Fall ist eine Hypothese eine mögliche Kritik am Modell. Aber natürlich muss am Ende eines wissenschaftlichen Problemlöseprozesses wieder eine sinnvolle Erklärung, das heißt ein Modell stehen. Insofern ist eine Hypothese auch die Voraussetzung für ein Modell.

Im Prinzip bezeichnet diese Teilkompetenz die Fähigkeit, unsere kognitiven Werkzeuge zur Erklärung der Welt aufeinander abstimmen zu können. Wie bei einem Orchester sollte hier kein Krach entstehen, sondern die einzelnen Instrumente (= kognitive Werkzeuge) müssen aufeinander abgestimmt werden, damit eine Symphonie entsteht.

Diese Teilkompetenz korrespondiert wesentlich mit metakognitiven Kompetenzen.

Modelle abändern, erweitern, reduzieren, zusammenführen, kritisieren und erfinden können

Dies ist die vielleicht schwierigste Teilkompetenz. Der Autor hat die Erfahrung gemacht, dass Menschen gerne an Modellen „kleben“ und überhaupt keine kritische oder ironische Distanz mehr aufbauen können.

Vor Jahren war das Kommunikationsquadrat von Friedemann Schulz von Thun der Renner im Bereich des Kommunikationstrainings. Von Thun behauptete, dass die kommunikative Botschaft immer vier Aspekte umfasst. Dabei würde der Mensch aber nur einen dieser Aspekte der Botschaft hören. Die drei anderen Aspekte könne man sich erst durch Nachdenken erschließen. Nun gab es aber Trainer, die behaupteten, man könne alle vier Aspekte gleichzeitig hören. Der Effekt davon war, dass diese Menschen glaubten, sie könnten die Botschaft eines anderen „vollständig“ verstehen. Sie kannten keine Missverständnisse, weil sie „nicht missverstehen konnten“. Das zumindest glaubten sie von sich selbst. Sich mit solchen Menschen zu unterhalten, ist, wie Sie sich sicher vorstellen können, äußerst unangenehm. Am Erfolg eines durch einen solchen Menschen durchgeführten Kommunikationstrainings darf man ebenso zweifeln.

Dies mag als Beispiel und als Warnung gelten, dass Modelle keine religiösen Glaubenssätze sind, sondern Werkzeuge, die mal mehr, mal weniger hilfreich sind.

Fazit

Modellkompetenzen sind überall wichtig. Während das Modell ein Werkzeug des Denkens ist, kann man die dazugehörigen Kompetenzen als Meta-Werkzeuge bezeichnen, die Anwendung und Reichweite von Modellen bestimmen.

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