Omega-3-Fettsäure-Test: Fischöl für Kinder & Zappelpharmazeuten?

Leiden Apotheker an ADHS? Stiftung Warentest fand Health Claims-Verstöße in der Werbung für Schulkinder-Pillen mit Fettsäuren, Mineralstoffen und Vitaminen.

Epidemiologische Studien belegen, dass man früher oder später einmal stirbt. Bevor man stirbt, soll man als gesunder Mensch nach Ansicht unserer Apotheker und Pharmazeuten in den Genuss möglichst vieler Pillen und Pülverchen kommen – zum Beispiel mit Omega-3-Fettsäuren, Mineralstoffen und Vitaminen aus der Drogerie oder Apotheke. Fischöl-Kapseln werden sogar schon vor der Geburt empfohlen – angeblich sollen während der Schwangerschaft und Stillzeit eingenommene Omega-3-Fettsäuren vor Übergewicht im Kindesalter schützen, die Intelligenz fördern und vermutlich auch vor dem Bösen Blick bewahren. Während der Schulzeit sollen Fischöl-Präparate unsere Kinder klüger machen, gar vor der so genannten Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) beschützen. Stiftung Warentest überprüfte die pharmapoetische Werbung von sieben Nahrungsergänzungsmitteln und fünf diätetischen Produkten im 126. Geburtsjahr des Apotheker-Dichterfürsten Georg Trakl nach der EU-Verordnung für gesundheitsbezogene Werbeslogans (Health Claims). Sie finden den Testbericht über Pharma-Werbung in der Februar-Ausgabe 2013 der Verbraucher-Zeitschrift „test“ seit dem 25. Januar 2013 am Kiosk.

Health Claim-Verordnung und Heilmittelwerbegesetz (HWG)

Vor der Dichtkunst der Pharma-Industrie soll der deutsche Bürger durch das Heilmittelwerbegesetz (HWG) und die EU-Verordnung für gesundheitsbezogene Werbeslogans (Health Claims) geschützt werden. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) prüft mittlerweile „Angaben über die Verringerung eines Krankheitsrisikos sowie Angaben über die Entwicklung und die Gesundheit von Kindern gemäß Artikel 14“ und lässt wissenschaftlich gesicherte Health Claims zu – den Behörden unserer Bundesländer obliegt die Überwachung für die Einhaltung der EU-Verordnung in Deutschland. Schon in der Januar-Ausgabe 2013 stufte Stiftung Warentest die Werbung mit Nahrungsergänzungsmitteln für Schüler als „ethisch fragwürdig“ ein und fand bei homöopathischen Mitteln Verstöße gegen das Heilmittelwerbegesetz (HWG) – nun fand Stiftung Warentest ein Dutzend Verstöße gegen die Health Claim-Verordnung.

Ein Dutzend Präparate mit Fettsäuren, Mineralstoffen und Vitaminen für den Zappelphilipp

Stiftung Warentest studierte exemplarisch die gesundheitsbezogenen Werbesprüche von sieben Nahrungsergänzungsmitteln und fünf diätetischen Produkten, mit Omega-3-Fettsäuren aus Seefisch, Omega-6-Fettsäuren aus Pflanzen, Mineralstoffen, Vitaminen und weiteren Substanzen: Laut Auslobung sollen die Produkte unsere Kinder klüger machen, laut Berechnung kostet eine Tagesdosis zwischen 0,57 und 1,33 Euro. Verbessert werden sollen die kognitiven Eigenschaften, die Konzentration und das Lernvermögen, sogar ADHS oder ADHD (Attention Deficit Hyperactivity Disorder) sollen damit behandelt werden können. Unter den Produkten waren: „Das gesunde Plus Konzentration & Lernen – Für Kinder“ von dm, „Omega-3 Junior“ von Doppelherz, „Zappelex“ von Emcur, „Esprico“ von Engelhard Arzneimittel, „Omega IQ junior“ von Forum Vita, „Omega-3 junior“ von Hübner, „OM3 junior“ von Isodisnatura, „Concentrix“ von Kranich Pharma, „Kids Omega Pearls“ von Lucovitaal, „Lernstark (Bio)“ von Rotbäckchen, „Addy Plus Junior“ von Vital Products und „Brain Effect junior“ von Whitewall.

Eine Aufmerksamkeitsdefizitstörung des Zappelpharmazeuten?

Etwa 5 Prozent unserer Kinder zeigen nach Schätzungen die klinischen Symptome einer ADHS, die ADHS-Symptome hören dabei oft nicht nach der Pubertät auf – über die Hälfte der ADHS-Kinder zeigen als Erwachsene noch ADHS-Symptome: Eine Aufmerksamkeitsdefizitstörung könnte auch die kognitiven Leistungsprobleme unserer Apotheker erklären, vom Zappelphilipp zum Zappelpharmazeuten? Denn am 14. Dezember 2012 ist die EU-Verordnung über Health Claims in Kraft getreten. Vermutlich verhinderte eine gestörte Aufmerksamkeit, dass unsere Pharmazeuten nicht erkannten, dass in puncto Omega-Fettsäuren gesundheitsbezogene Werbeslogans über eine positive geistige Entwicklung oder eine Förderung des Lern- oder Konzentrationsvermögens nicht mehr erlaubt sind. Doch die Werbesprüche prangten auch noch nach dem 14. Dezember 2012 auf Beipackzetteln und Verpackungen.

Eine Hyperaktivitätsstörung des Zappelpharmazeuten?

Werbesprüche wie „Klugstoff für Kinder“ und „So kauen die Schlauen“ weisen eventuell auf eine sprachliche Hyperaktivitätsstörung des Zappelpharmazeuten hin: Dass die „Gehirnproteine“ sich positiv auswirken zeigen bisher nur ein paar methodisch miserable Untersuchungen. Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) bemängelte im Jahr 2008 über Untersuchungen mit Docosahexaensäure (DHA) die „unzureichende Studiendauer, die geringen Probandenzahlen, die uneinheitlichen Altersgruppen der untersuchten Kinder und die in den Studien verwendeten nicht standardisierten Messmethoden“. Die Cochrane Collaboration kommt Ende des Jahres 2012 in Hinblick auf mehrfach ungesättigte Fettsäuren (PUFA) zu einem ähnlichen Ergebnis (PUFA, englisch für Poly-Unsaturated Fatty Acid).

Alle Produkte sind zur Verbesserung der Konzentrations- und Lernleistung „wenig geeignet“

Deshalb sind laut Stiftung Warentest alle zwölf Produkte nur „wenig geeignet“, der Nutzen und die Wirksamkeit sind nicht ausreichend belegt. Den Omega-Fettsäure-Bedarf kann man locker mit fetten Seefischen decken. Hier genügen pro Woche ein bis zwei Mahlzeiten mit Hering, Lachs oder Makrele. Alternativ bieten sich täglich ein paar Walnüsse an, oder die neuen Butter-Pflanzenöl-Kombinationen mit viel Rapsöl. Pflegen Eltern mit ihren Kindern Mäuse oder Ratten als Haustier, kann man in so genannten Labyrinth-Versuchen die kognitive Leistungssteigerung der unterschiedlichsten Substanzen auch selbst schon mal ausprobieren. Bei alten Mäusen sollen Catechine die Lernzeit günstig beeinflussen. Catechine gehören zu den polyphenolischen Pflanzenstoffen und kommen in vielen Obstsorten vor: Dazu gehören Äpfel, banale Birnen und Brombeeren, Erdbeeren, Himbeeren, Johannisbeeren, Pflaumen, Stachelbeeren und Weintrauben.

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