Warum Spucke intelligent macht

Warum der Mensch ein riesiges Gehirn hat, ist nach wie vor ein Rätsel. Doch vieles deutet darauf hin, dass das mit seiner Ernährungsweise zusammenhängt

Das menschliche Gehirn ist ein merkwürdiges Ding. Es ist übermäßig groß und komplex, ziemlich störungsanfällig, es frisst jede Menge Energie, und es ist eine Maschine mit nahezu unbegrenzten Einsatzmöglichkeiten. Warum das so ist, wird üblicherweise damit erklärt, dass die frühen Hominiden in einer Umwelt lebten, die an ihr Denkvermögen erhöhte Anforderungen stellte.

Das Gehirn – ein unersättlicher Energiefresser

In den Augen des britischen Evolutionsbiologen Robert D. Martin hat es jedoch wenig Sinn zu fragen, wofür eine Spezies ein größeres Gehirn braucht – denn schließlich könne es keinem Tier schaden, klüger zu werden. Entscheidend sei vielmehr etwas anderes: Gehirne aufzubauen und zu unterhalten, kostet jede Menge Energie. Und ihr Wachstum ist bei den Säugetieren zum Zeitpunkt der Entwöhnung schon nahezu abgeschlossen. Also muss die Gehirngröße der Säugetiere in erster Linie davon abhängen, wie viel energiereiche Nahrung einer Mutter in den Phasen der Schwangerschaft und des Stillens zur Verfügung steht. „Somit“ schlussfolgert Martin, „ist es in erster Linie der Energieumsatz der Mutter, der die Endgröße des Gehirns ihrer Nachkommen begrenzt.“

Knollen, Wurzeln und Großmütter

Irgendwann muss es also den Frühmenschen gelungen sein, sich regelmäßig mit kalorienreicher Nahrung zu versorgen. Nach herkömmlicher Auffassung hat diese Kost entweder aus Aas oder aus dem Fleisch bestanden, das die Männer als Jäger erbeuten konnten. Etliche Indizien sprechen allerdings gegen diese Auffassung. Zum einen waren die ältesten Hominiden kleinwüchsig und schlecht zu Fuß, und auch mit ihrer Körperkraft war es nicht weit her. Zum anderen verfügten sie weder über genügend Intelligenz noch über schlagkräftige Waffen, um es mit den Raubtieren der Savanne aufnehmen zu können. Ein anderes Szenario ist deshalb wahrscheinlicher. Danach sind die Frauen auf die clevere Idee gekommen, nach nährwertreichen Wurzeln und Knollen zu graben. An der Nahrungssuche – vermutet die Anthropologin Kirsten Hawkes – waren auch die Großmütter beteiligt, wodurch sie es ihren Töchtern ermöglichten, erheblich mehr Energie für den Nachwuchs aufzubringen. So konnte das Gehirn anders als bei allen übrigen Säugetieren noch lange nach der Geburt weiterwachsen, die Intervalle zwischen den Geburten wurden kürzer als bei den Menschenaffen, und außerdem stieg die Lebenserwartung. Die Großmütter, die sich um die Enkelkinder kümmerten, gaben nämlich auch ihre Langlebigkeits-Gene weiter. Und so ist es zu erklären, warum die Menschenfrau fast das einzige Wesen im Tierreich ist, das schon in mittleren Jahren die Fortpflanzung einstellt.

Maden oder Meeresfrüchte?

Doch etwas fehlt – nämlich die mehrfach ungesättigten Fettsäuren, ohne die das exzessive Wachstum des menschlichen Gehirns nie hätte in Gang kommen können. Sie sind weder in Wurzeln und Knollen noch in fleischlicher Nahrung in ausreichenden Menge enthalten. Also müssen sich die Frühmenschen ein Zubrot verschafft haben. Dabei könnte es sich um Meeresfrüchte gehandelt haben – auf diese Hypothese stützt sich die Theorie des „semi-aquatischen Affen“, die der Berliner Anthropologe Carsten Niemitz verficht. Außerdem gibt es einen zweiten Kandidaten: Maden. Maden sind regelrechte Kalorienbomben, sie sind reich an Kalium, Phosphor und Magnesium. Und trotz des Ekels, den sie erregen, haben sie einen entscheidenden Vorzug: Sie sind absolut keimfrei.

Der Vorteil, jede Menge Amylase im Mund zu haben

Es gibt noch eine weitere, verblüffende Erklärung. Nach Auffassung des Anthropologen Nathaniel Dominy verdankt der Mensch sein außergewöhnlich großes und leistungsstarkes Gehirn in erster Linie einer Flüssigkeit – der Spucke. Kürzlich haben Dominy (Universität von Kalifornien in Santa Cruz) und seine Mitarbeiter 50 hell- und dunkelhäutigen Studenten Speichelproben und einige Zellen ihrer Mundschleimhaut entnommen. Die anschließenden Untersuchungen förderten Aufschlussreiches zu Tage. In den Speichelproben stießen die Forscher auf höchst unterschiedliche Mengen des Enzyms Amylase, das für die Zerlegung der Stärke eine Schlüsselrolle spielt. Entscheidend war jedoch, was in den Zellen aus der Mundschleimhaut zum Vorschein kam: bis zu 15 Kopien des Gens AMY1, das die Bauanleitung für das Amylase-Protein liefert. Dieser Umstand legt die Vermutung nahe, dass desto mehr Amylase produziert werden kann, je mehr Kopien des AMY1-Gens zur Verfügung stehen. Diese Vermutung bestätigte sich schließlich, und gleichzeitig kam zu Tage, dass die Schimpansen ziemlich arm dran sind. Weil sie mit nur zwei Kopien dieses Gens ausgerüstet sind, machen sie um stärkereiche Nahrungsmittel einen großen Bogen und greifen mit Vorliebe zu leicht verdaulichen, süßen Früchten.

Darüber hinaus haben Dominy und sein Team festgestellt, dass es einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen Ernährungsweise und Erbanlagen gibt. So sind die sibirischen Jakuten, die von Jagd und Fischfang leben, mit deutlich weniger Kopien des AMY1-Gens ausgestattet als die Japaner, die viel Reis essen. „Warum“, fragt Nathaniel Dominy „auf eine Zufallsmutation warten, um eine Genfunktion zu verbessern? Zusätzliche Kopien eines Gens zu erzeugen, ist eine einfache Methode der Evolution, um die Produktion eines Proteins zu erhöhen.“

Nach Dominys Theorie besteht das ganze Erfolgsgeheimnis des Homo sapiens in seinem ungewöhnlich amylasereichen Mundsekret. Damit war er den anderen Primaten von Anfang an überlegen, denn anders als sie konnte er stärkehaltige Knollen wie wilde Karotten, Kartoffeln oder Zwiebeln als Nahrungsmittel nutzen. Später erfand er das Kochen, was es ihm ermöglichte, seinen Speisezettel um etliche andere Pflanzen mit hohem Stärkegehalt zu erweitern. Am Ende erfand er auch noch die Landwirtschaft, die seitdem ungeheure Massen von Stärkespendern wie Reis, Mais, Bohnen oder Weizen hervorbringt. Und so gelang es dem Menschen, genug Nahrung zu produzieren, um sein immer mehr Energie fressendes Gehirn zu unterhalten.

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