Gelebtes Nichtwissen

Das riskante Spiel der Intelligenz oder warum wir Probleme brauchen

Eineitende Bemerkungen zu dem Begriff der Intelligenz und ein Plädoyer dafür, Intelligenz als gelebtes Nichtwissen zu verstehen.

Es gibt Wörter, die benutzt man nur ungern, weil man bei ihrem Gebrauch Gefahr läuft, zu einer Begriffsdefinition aufgefordert zu werden. Eines dieser Wörter ist die Bezeichnung Intelligenz. Formulieren wir es so: Kaum jemand ist ignoranter als der- oder diejenige, der/die sich selbst von vornherein für intelligent hält. Denn zum Wesen der Intelligenz gehört es anscheinend, dass man sie nicht als Eigenschaft ‚besitzt‘, sondern sie immer nur von Fall zu Fall an den Tag legt. Und dieser Fallbezug lässt sich eben nur schwer im Voraus bestimmen.

Intelligenz und Problem

Das hat zwei Konsequenzen: erstens die, dass Intelligenz sich immer in problematischen Fällen erweist, sie also die Voraussetzung für Problemlösungen ist, zweitens die, dass sie weniger mit der Vernunft, sondern mit dem Verstand zu tun hat, wenn man darunter ganz allgemein die Möglichkeiten der Wahrnehmungsfähigkeit in einer konkreten Situation versteht. Anders ausgedrückt: über weite Strecken ist die Intelligenz gewissermaßen latent, versteckt. Man kann sich ihrer nie restlos sicher sein, schon gar nicht im Prozess der Problemlösung. Erst hinterher wird einem klar, dass man offenbar intelligent vorgegangen ist. Hier denkt man beispielsweise unweigerlich an Laborversuche, in denen Tiere unter Versuchsbedingungen Aufgaben bewältigen, also Hindernisse beseitigen müssen, um an Futter zu gelangen. Oft genug sind wir dann bereit, ihnen bei Erfolg ein intelligentes Verhalten zu bescheinigen, das sich häufig darin äußert, dass sie bereitgestellte Mittel (etwa einen Schalter, mit dem man eine Klappe betätigen kann, die den Weg zur Belohnung öffnet) auf überraschende Weise zum Einsatz bringen.

Intelligenz als Überraschung und Intuition

Und Überraschung scheint hier tatsächlich eine Art Schlüsselwort zu sein. Intelligenz besteht so gesehen darin, dass man bislang nicht abgerufene Handlungsdispositionen in die Tat umsetzt. Intelligenz ist dann so etwas wie ein kognitives Vermögen, mit dem sich ein Problemlöser oder eine Problemlöserin nicht zuletzt selbst in Erstaunen versetzt.

Intelligenz zeigt sich also als Beobachtungsfähigkeit in gegebenen Zusammenhängen, und von daher ist sie wohl eng mit der Intuition verwandt. Der Moment der Erleuchtung, der vielbeschworene Geistesblitz, ist der Augenblick, in dem sie zutage tritt. Das kognitive System einer Person arbeitet zwar geschlossen, indem es Gedanken an Gedanken reiht, dies aber offen gegenüber der Umwelt, aus der es seine intern weiterverarbeiteten Wahrnehmungen bezieht.

Gelebtes Unwissen

Auf den Punkt gebracht heißt das: Anders als etwa Rationalität ist Intelligenz gelebtes Unwissen, Nichtwissen – und zwar Nichtwissen, dass man etwas weiß. Erst in problematischen Situationen tritt das, was man weiß, zutage. Dabei gleicht die Anwendung dieses verschütteten, latenten Wissens einem kognitiven Drahtseilakt; Sicherheit ist hier nirgends. Denn intelligentes Vorgehen heißt nicht, dass man ein Problem bis in alle Verästelungen durchschaut. Stattdessen beschränkt sich intelligentes Verhalten darauf, den Output eines Problemsystems zu kontrollieren – ohne einen tieferen Einblick gewinnen zu wollen, wie dieses Problemsystem im Detail intern funktioniert. Und eben deshalb ahnt man wohl, dass man schneller, als einem lieb ist, der Kehrseite (man spricht hier auch vom sogenannten Reflexionswert) in die Falle gehen kann, die da lautet: Ignoranz.

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