Hollister eröffnet Shop in Berlin – Body surfing in Steglitz

Mittwoch gegen 12 Uhr – gelangweilt und frustriert von der Schreibtischarbeit, die heute so gar nicht gelingen will, lockt ein Spaziergang zum neu eröffneteten Boulevard Berlin in der Schloßstraße im Berliner Bezirk Steglitz. Vielleicht gibt es ein paar Häppchen gratis oder einen Kaffee mit Blick auf shoppende Massen zur Ablenkung.

Ein Vergnügen ist das nicht, es ist voll im neuen Center, proppevoll. Die Menschen schieben sich durch die Gänge, stickige Luft, unfreundliche Berliner Gesichter, es wird gedrängelt und gequengelt. Nur ein paar Gummibärchen gibt es gratis. Noch kurz mal den neuen Hollister Shop ansehen, einen Ableger der angesagten Marke Abercrombie & Fitch, und dann wieder raus in den tristen Berliner Regen.

Doch während die meisten Geschäfte mit merkwürdigen Verlosungen und Gutscheinen die Käuferinnen und Käufer in ihre Sortimente locken möchten, haben die Hollister Betreiber dieses Problem nicht.

Vor dem Shop des kalifornischen Labels, der gleich am Haupteingang des Boulevards platziert ist, haben sich gefühlte 100 Menschen sehr gesittet und brav in eine Reihe gestellt. Vorwiegend junge Mädchen mit ihren mehr oder weniger glücklich blickenden Eltern stehen an, um in den ersten Berliner Shop der beliebten Marke zu kommen. Von außen sind weder T-Shirts noch Hosen noch Kleider sehen. Nicht auf Schaufenster blickt die Menschenmasse, sondern auf große Bildschirme, über die Filme mit riesigen Wellen und winzigen Surfern laufen. Ein vergleichsweise kleiner Eingang in die Innenwelt des Shops lässt einen Blick zu auf einige Stapel farbig sortierter T-Shirts. Der Rest ist in Dunkel gehüllt.

An den Türen stehen zwei ebenfalls sehr junge, sehr attraktive und körperlich ohne wenn und aber als knackig zu bezeichnende Männer. Braungebrannt, mit roten Badeshorts und einem beeindruckenden Muskelpaket versehen, posieren sie in Flipflops vor der Tür, lächeln und bitten die potentiellen Käuferinnen zu ihnen. Jeweils zwei Mädchen stellen sich zwischen die Jungs, lächeln verkrampft, und werden von einer ebenfalls sehr attraktiven Verkäuferin fotografiert.

Dann darf eingetreten werden, dann darf gekauft werden, im Allerheiligsten.

Bei aller Konsumkritik – irgendetwas machen die verdammt richtig! Die Leute stehen an, um kaufen zu dürfen. Sie sehen von außen nicht, was es dort gibt – sie wissen es bereits. Mit der Marke wird ein Lebensgefühl, nein, vielleicht sogar das Gefühl, zu was auch immer dazuzugehören, verkauft – mit Erfolg.

Die Surfer auf den Bildschirmen, die riesigen Wellen, das Blau des Ozeans – sie sind die Grenze zwischen der Außenwelt, der Schlage der Konsumenten und der Innenwelt, den Hollisterprodukten. Einzutauchen in diese Welt ist ein Bedürfnis, eine Verheißung. Vom Eingang verschluckt zu werden – und dann wieder ausgespuckt. Mit möglichst vielen bunten Tüten bepackt, auf denen selbstverständlich auch ein attraktiver Oberkörper abgebildet ist.

Junge Menschen, denen zehn Minuten konzentriertes Zuhören in der Schule oft schwerfällt, die Bücher lesen zu mühsam, vermeindlich langsame Computer eine Zumutung finden – sie alle warten hier geduldig, ohne auch nur ansatzweise zu murren, mindestens eine halbe Stunde, um in den Laden eingelassen zu werden.

Ein Phänomen, ein schlaues Marketingkonzept – vielleicht kann die moderne Pädagogik sich hier etwas abschauen.

Lernen, geben und nehmen für sich, für das eigene Leben, die eigene Zukunft? Schwierig. Mühsam. Wichtiger ist es, Mitglied in einer Gruppe zu sein, das Gefühl zu haben, nicht alleine zu sein. Ist dies der Traum, den Marken wie Hollister erfüllen? Und mit dem sie einen enormen Umsatz machen?

Es scheint so. Und der erste Blick auf das attraktive Personal lässt auch durchaus an eine sexuelle Komponente denken: die Befriedigung eines in unserer Gesellschaft immens wichtigen und durchaus körperlichen Bedürfnisses – des Konsums. Doch Gemeinschaft nur zu konsumieren, nur in sie einzutauchen: dies ist auf Dauer unbefriedigend. Jede und jeder ist Teil dieser Gemeinschaft, bringt sich selbst ein. Der Kauf eines T-Shirts ist ein Tausch: Geld gegen Ware. Nicht Geld gegen Freundschaft, Akzeptanz, Toleranz.

Der Kauf eines T-Shirts kann glücklich machen – für den Moment. So wie auch die Gummibärchen nur einen kurzen Augenblick froh machen – danach ist das Leben wieder harte Arbeit. Und auf den Wellen des Alltags surft jede und jeder für sich alleine.

Schade eigentlich. Das Blau des Meeres sieht so friedlich aus.

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