Perfekt: die vollendete Gegenwart – Die perfekte Rolle als Verwandlungskünstler und Tücke des Objekts

Manchmal übernimmt das Perfekt die Rolle anderer Zeiten. Damit nicht genug: Ob es mit „haben“ oder „sein“ umschrieben wird, hängt – nicht nur – vom Objekt ab …

Das Perfekt ist eine Zeitform, die im allgemeinen Sprachgebrauch sehr häufig benutzt wird. Auch als vollendete Gegenwart bezeichnet, beschreibt es meist ein Geschehen, das gerade abgeschlossen wurde. Meist, denn manchmal ist es auch mit anderen Zeitformen austauschbar und nimmt dann unterschiedliche Rollen ein.

Das Perfekt in der Rolle unterschiedlicher Zeiten

Das perfekte Ereignis kann sich

  • auf die Gegenwart des Sprechers beziehen bzw. in seine Gegenwart hineinreichen:

Ich habe gerade etwas Interessantes gelesen.

  • auf längst Vergangenes beziehen, das aber bis in die Gegenwart anhält, weil es einmalig und „folgenreich“ war:

Die Chinesen haben das Papier erfunden.

  • auf das Bewusstsein des Sprechers beziehen:

Ich weiß, dass man damals Papier aus Fasern des Maulbeerbaums, Hanfresten und Lumpen hergestellt hat.

Die Abgeschlossenheit des Perfekts kann sich auch

  • auf eine mögliche Zukunft (2. Futur II) beziehen. Auf ein Geschehen also, das zwar noch nicht begonnen, aber – vermutlich – bis zu einem (un-)bestimmten Zeitpunkt abgeschlossen sein wird:

In einer Stunde hast du alles wieder vergessen.

  • auf die vollendete Vergangenheit (Plusquamperfekt) beziehen. Aus Sicht des Sprechers ist das Geschehen auf der Ebene der Vergangenheit abgeschlossen:

Es war gut, dass ich das nicht gewusst habe.

  • auf eine mögliche, vermutete Zukunft (2. Futur I) beziehen, die aus der Sicht des Sprechers jedoch schon vergangen und abgeschlossen ist. Dieses Futur wird jedoch bisher nicht sehr oft benutzt worden sein:

Als du das hörtest, bist du wohl empört gewesen.

Das Perfekt kann letztlich auch

  • die einfache Vergangenheit (Präteritum) ersetzen:

Er ging Zigaretten holen und ist nie wiedergekommen.

  • etwas Allgemeingültiges ausdrücken:

Ein Leben ist schnell vergangen.

  • bei bestimmten Wendungen oder Redensarten stehen:

Er ist unter die Räder gekommen.

Die Umschreibung des Perfekts: haben oder sein?

Das Perfekt wird mit dem Hilfsverb sein gebildet, wenn es sich

  • um intransitive Verben handelt (Verben also, die nicht ein direktes Objekt nach sich ziehen bzw. kein Akkusativobjekt bei sich haben können), die eine Ortsveränderung bzw. eine zielgerichtete Bewegung von einem Ort weg oder zu einem Ort hin ausdrücken:

aufstehen, fahren, fallen, fliegen, gehen, kommen, reisen, schwimmen, tanzen u.a.

  • um intransitive Verben handelt, die eine Zustandsänderung beschreiben:

1. Neubeginn oder Entwicklung: aufblühen, aufwachen, einschlafen, entstehen, werden, wachsen u.a.

2. Ende oder Beendigung einer Entwicklung: sterben, ertrinken, ersticken, umkommen, vergehen, verblühen u.a.

  • um die Verben sein und bleiben handelt.

Aber Achtung:

  • Die Verben fahren und fliegen z.B. können auch mit einem Akkusativobjekt stehen – dann kommt das Hilfsverb haben zum Tragen:

Ich habe den Bus selbst gefahren. Der Co-Pilot hat das Flugzeug geflogen.

  • Manchmal kommt es auch auf die Sichtweise an. Sieht der Sprecher den reinen Vorgang, die Dauer in der Bewegung, dann benutzt er ebenfalls das Hilfsverb haben:

Ich habe heute geschwommen. Sie hat früher gern getanzt. Der Vogel hat gerade noch geflattert.

Das Perfekt wird mit dem Hilfsverb haben gebildet, wenn es sich

  • um transitive Verben handelt (in diesem Fall logischerweise Verben, die ein direktes Objekt nach sich ziehen bzw. auf ein Akkusativobjekt gerichtet sind und auch ein persönliches Passiv bilden können):

bauen, kochen, malen, packen, schließen, trinken, zerreißen u.a.

  • um reflexive Verben handelt (also um Verben mit akkusativischem Pronomen):

sich bewegen, sich durchsetzen, sich kämmen, sich tummeln u.a.

  • um Modalverben handelt:

dürfen, können, mögen, müssen, sollen, wollen

  • um intransitive Verben handelt, aber nur, wenn sie keine Bewegung, sondern die Dauer einer Handlung oder einen Zustand ausdrücken wie

1. Verben mit Orts- oder Zeitangaben, die keine Bewegung und keine Zustandsveränderung ausdrücken:

arbeiten, hängen, liegen, leben, schlafen, sitzen, stehen u.a.

2. Verben, die ein Dativobjekt nach sich ziehen und keine Bewegung ausdrücken:

antworten, drohen, gefallen, glauben, schaden, vertrauen u.a.

3. Verben, die einen festen Anfang oder ein sicheres Ende bezeichnen:

anfangen, ansetzen, abbrechen, beginnen, aufhören, enden u.a.

Und damit ist auch dieser Exkurs über die Wandlungsfähigkeit des Perfekts beendet. Und, welch ein tragikomisches Ende: denn die Tücke des Objekts liegt bekanntlich im aussichtslosen Kampf mit der Unvollkommenheit …

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.