Functional food: Medizin zum Essen?

Functional food erobert die Regale des Lebensmittelhandels. Doch längst nicht alle gesundheitlichen Versprechen dieser Produkte können gehalten werden.

Lebensmittel sollen heute nicht mehr nur satt machen und schmecken, sondern vor allem auch eines: Der Gesundheit nützen. Denn das, so wissen die Marketingstrategen, sorgt für Umsatz. So landen immer mehr Produkte in den Regalen, denen Vitamine und Spurenelemente, Pro- und Präbiotika, mehrfach ungesättigte Fettsäuren und andere gesundheitlich wichtige Stoffe zugesetzt sind. Functional Food verheißt Genuss mit gesundem Zusatznutzen. Doch längst nicht alles, was man sich in den Laboren der Lebensmittelindustrie einfallen lässt, steht im Dienste der Gesundheit. Der Mehrwert durch Zusatzstoffe ist vielfach fraglich: Den meisten Produkten fehlt der wissenschaftliche Nachweis ihrer Wirksamkeit.

Was ist Functional Food?

Per Definition handelt es sich dabei um »Nahrungsmittel, die auf Inhaltsstoffen natürlichen Ursprungs basieren, im Zuge der täglichen Ernährung aufgenommen werden und eine definierte Funktion auf den Organismus haben: Verbesserung der Immunabwehrfunktionen, Vorbeugung spezifischer Krankheiten, Unterstützung bei der Genesung bestimmter Krankheiten, Kontrolle von physischen und psychischen Beschwerden oder Verlangsamung des Alterungsprozesses.«

So gesehen kann auch ein Apfel als »funktionelles Nahrungsmittel« gelten, wie alle anderen Obst- und Gemüsearten. Denn sie enthalten unzählige Stoffe, die gesundheitsfördernde Wirkungen besitzen.

Rechtliche Grauzone

Lebensmittel sind keine Medikamente und dürfen auch nicht so tun. Doch noch ist Werbung mit Gesundheit in Deutschland nicht gesetzlich geregelt. Bislang gibt es keine Vorschriften für gesundheitsbezogene Angaben auf Lebensmitteln – damit auch nicht für funktionelle Nahrungsmittel. Zwar sollen die Hinweise, so der Appell an die Industrie, »wissenschaftlich untermauert sein«, »der Wahrheit entsprechen« und »den Verbraucher nicht in die Irre führen«. Doch »stärkt ihre natürlichen Abwehrkräfte«, »reguliert die Darmtätigkeit« oder »cholesterinfrei« ist nicht definiert und überprüft. Eine Grauzone, in der es sich gut verkaufen lässt.

Die Gesetzgeber arbeiten derzeit an einer Verordnung, die Gesundheitswerbung europaweit auf ein gesetzlich verbindliches Fundament stellen soll. Bis diese Regelung jedoch in Kraft tritt, kann es dauern. Was Ihnen momentan weiterhilft, ist viel wissen und wenig glauben.

Ist probiotisch gesünder?

Probiotika gehören zu den Pionieren der funktionellen Nahrungsmittel. Dabei handelt es sich um Milchsäurebakterien, die der Gesundheit auf mehreren Ebenen nützen sollen: Immunsystem und Verdauung stärken, Darmflora sanieren und den Darm vor Krankheiten schützen. Allerhand. Doch was die Werbung verspricht, hat die Forschung noch nicht bewiesen: Welche Rolle Probiotika bei den komplexen Vorgängen im Darm tatsächlich spielen, ob sie Krebs und Allergien vorbeugen können, gilt es noch herauszufinden.

Als sicher gilt nur, dass die Mikroorganismen zur Erhaltung einer gesunden Darmflora beitragen. Denn probiotische Bakterien sorgen für das »richtige Klima«, indem sie das Wachstum der nützlichen Darmbakterien fördern und die weniger guten verdrängen. Um das hinzubekommen, müssen Probiotika allerdings täglich gegessen werden. Der regelmäßige Nachschub ist Voraussetzung für die Effekte auf die Darmflora. Die haben Sie jedoch auch dann, wenn Sie täglich Joghurt, Dickmilch, Buttermilch oder Sauerkraut löffeln. Denn diese herkömmlichen Produkte haben ebenfalls eine positive Wirkung auf Darmflora und Immunsystem.

Futter für Laktobazillus

Inzwischen werden probiotischen Produkten häufig so genannte Präbiotika zugesetzt: Unverdauliche Kohlenhydrate wie beispielsweise Inulin oder Oligofructose. Sie sollen das Wachstum der probiotischen Bakterien im Dickdarm fördern, indem sie ihnen als Nahrung dienen.

Wir sollten dieses »Futter« jedoch im wahrsten Sinn mit Vorsicht genießen: Dem Körper darf nur eine begrenzte Menge an Präbiotika zugeführt werden. Andernfalls drohen so unangenehme Folgen wie Durchfall und Sodbrennen.

Medizin aufs Brot: Pflanzliche Sterine

Pflanzliche Sterine, in Margarine verpackt und regelmäßig aufs Brot gestrichen, sollen das als schädlich entlarvte LDL-Cholesterin senken. Da ähnlich aufgebaut wie das gefährliche Fettmolekül, blockieren die Pflanzenstoffe angeblich dessen Aufnahme im Darm. Die wissenschaftlichen Befunde haben irgendwie überzeugt: In der EU dürfen die pflanzlichen Cholesterinsenker in Margarinen, Dressings und Milchprodukten auf den Markt. Allerdings muss man sich davon schon beachtliche Portionen servieren, um einen Effekt auf den Cholesterinspiegel zu erzielen.

Omega-3-Fettsäuren – Original ist besser als kopiert

Omega-3-Fettsäuren haben ihre positiven Wirkungen in zahlreichen Studien unter Beweis gestellt. So wandern die mehrfach ungesättigten Fettsäuren inzwischen in Brot- und Nudelteige, Erfrischungsgetränke und vieles mehr. Sogar »Omega-3-Eier« wurden bereits gesichtet.

Doch ob Omega-3-Fettsäuren in isolierter Form oder in Hühnereiern versteckt ebenso positiv wirken, ist bislang unklar. Das Nationale Institut für öffentliche Gesundheit der Niederlande (RIVM) fand beispielsweise heraus, dass die Fettsäuren nur in Kombination mit anderen natürlichen Stoffen wirken. Soll heißen: Um ihre gesundheitsförderlichen Effekte entfalten zu können, müssen Omega-3-Fettsäuren in ihrer ursprünglichen »Umgebung« und als Original serviert werden. In fetten Fischen beispielsweise oder in pflanzlichen Ölen stecken sie in der richtigen Kombination. Als Kopie in Brot oder Eiern wirken Omega-3-Fettsäuren allenfalls wie ein Placebo. Deshalb essen Sie besser regelmäßig, ein- bis zweimal die Woche, Fisch und verwenden dazu pflanzliche Öle wie etwa Rapsöl.

Folsäure in Mehl und Salz: Fragwürdiger Nutzen

Folsäure ist ein Vitamin der B-Gruppe, das vor Herzinfarkt schützen und Missbildungen bei Neugeborenen vorbeugen soll. Deshalb wird heute jeder Schwangeren auch ein Folsäurepräparat empfohlen. So weit noch verständlich. Nicht aber, das Folsäure Speisesalz oder Mehl beigemischt wird. Denn das B-Vitamin steckt reichlich in Gemüse, Vollkornprodukten und Leber. Anders als bei Jod ist eine Anreicherung von Folsäure in Lebensmitteln also unnötig. Und möglicherweise sogar schädlich. Doch bislang verhallen die Empfehlungen der Ernährungswissenschaftler ungehört.

Funktioneller Unsinn

Ob Functional Food wirklich einen »nachweislichen Nutzen über die übliche Nährstoffversorgung hinaus bieten« kann, ist mehr als fraglich. Zum einen steht der Nachweis der gesundheitlichen Wirkungen bei den meisten Produkten noch aus. Zum anderen gehen Ernährungswissenschaftler davon aus, dass der Nutzen eines Nahrungsmittels aus der Mischung mehrerer Stoffe und nicht aus einzelnen resultiert. Viele Vitamine wirken beispielsweise besser in jener Kombination, wie sie die Natur bereithält.

So werden die kritischen Stimmen auch nach Jahren nicht leiser. Funktionelle Nahrungsmittel warnen Verbraucherschutzverbände, seien schlicht eine »Marketingstrategie, die den Trend zu gesundheitsbewusstem Leben ausnutzt«. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung kommt ebenso wie die Lebensmittelüberwachung zu dem Fazit, dass derzeit viel zu wenig wissenschaftlich gesicherte Daten vorliegen.

Deshalb geben Sie Ihre Euros besser für gute Lebensmittel aus, anstatt für dubiose Kreationen der Food-Designer. Zumal Functional Food eine gesunde und ausgewogene Ernährung nicht ersetzen kann.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.