Nordic Walking – nur eine raffinierte Marketingstrategie?

Nordic Walking ist vor allem bei älteren Menschen eine sehr beliebte Ausdauersportart. Doch bringt dieser Sport tatsächlich mehr als ein Spaziergang?

Wo sieht man sie nicht, die hoch motivierten Nordic Walker, die mit den charakteristischen Gehhilfen durch Parks, Wälder und Wiesen stöckeln? Wen wundert’s, gilt die Ausdauersportart aus Skandinavien hier zu Lande als eine der gesündesten und populärsten Sportarten. Die Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) will herausgefunden haben, dass jeder fünfte deutsche Mann dieser Art des Fitnesstrainings frönt. Bei den Frauen soll sogar jede dritte Gesundheitsbewusste zu den beliebten Stöcken greifen. Und es werden immer mehr…

Eine alte Trainingsmethode in neuem Gewand

Nordic Walking ist eigentlich ein uralter Hut. Bereits vor 80 Jahren wurde es vornehmlich von Langläufern zur Unterstützung der typischen Langlauf-Armbewegung praktiziert – damals freilich noch unter der treffenderen, aber teutonisch-biederen Bezeichnung Stocklauf. Doch damals gewann die militärische Fortbewegung im Gleichschritt zunehmend an Bedeutung und das Gehen mit den Stöcken geriet zunächst in Vergessenheit.

Der Langlaufmarkt erfindet sich neu

Neu „erfunden“ wurde der Stockgang Ende der 1990er Jahre in Finnland. Der Sportstudent Marko Kantaneva experimentierte damals für seine Diplomarbeit mit Skistöcken, die er (ohne Skier) beim Laufen einsetzte. Ein finnischer Hersteller von Skistöcken, der mit Absatzschwierigkeiten für seine Wintersportprodukte zu kämpfen hatte, witterte eine Marktlücke. 1997 stellte die Firma ihre nach den Vorgaben Kantanevas modifizierten Skistöcke unter dem verkaufsfördernden Namen Nordic Walking der verblüfften Öffentlichkeit vor. Offensichtlich hatte die sportive Freizeitgesellschaft nur auf diese scheinbar innovative Segnung der Sportartikelindustrie gewartet. Bereits ein Jahr später konnte die Herstellerfirma den aus dem Nichts heraus entstandenen Bedarf an Nordic-Walking-Stöcken kaum noch decken. Ein geschicktes Marketing sorgte dafür, dass sich die neue Trendsportart in Windeseile in Europa verbreitete. 2005 wurden allein in Deutschland zwei Millionen Paar Stöcke abgesetzt.

Hält Nordic Walking, was die Sportartikelhersteller versprechen?

Nordic Walking wurde und wird allerorts als eine wenig verletzungsträchtige Outdoor-Sportart gerühmt. Besonders älteren Menschen wird die Anschaffung der Zauberstöcke als Gelenk schonende Fitnessmaßnahme wärmstens empfohlen. Doch in den letzten Jahren sind Zweifel an der Effektivität des Nordic Walking aufgekommen. Zunehmend wird hinterfragt, ob das nordische Gehvergnügen die Rumpf- und Beinmuskulatur tatsächlich mehr stärkt als ein konventioneller Spaziergang. Zahlreiche Studien belegen, dass Nordic Walking – trotz anders lautender Behauptungen der Sportartikellobby – die Knie- und Fußgelenke größeren Belastungen aussetzt und weder den Kreislauf noch die Sauerstoffaufnahme in besonderer Weise befördert. Werden die Sticks dann auch noch ohne jegliche Kenntnis der anzuwenden Technik und ohne Berücksichtigung der Bewegungsabläufe eingesetzt, drohen sogar Überlastungen und Verletzungen. Immerhin beherrscht lediglich nur jeder zehnte (!) Nordic Walker die korrekte Technik seiner Stöcke. Alle anderen halten das, was sie tun, für Sport…

Nordic Walking – ein von den Krankenkassen bezuschusstes Placebo?

Es ist deshalb erstaunlich, dass sich die Krankenkassen im Fall von Nordic Walking vergleichsweise spendabel zeigen. Für Nordic Walking-Kurse, für Nordic Walking-Gehseminare und für Nordic Walking-Urlaubsangebote wird tief in die Taschen der Beitragszahler gegriffen. Wen wundert es da noch, dass die Zubehörindustrie ständig auf Wachstumskurs segelt und nicht müde wird, die gesundheitlichen Vorzüge ihrer Produkte in den blumigsten Farben auszumalen. Auch Fitnesstrainer und andere Gesundheitsberater profitieren außerordentlich von diesem Hype – zumeist in guter Absicht, aber stets bestens versorgt mit Daten- und Informationsmaterial der Nordic-Walking-Industrie.

Viele Kritiker sehen deshalb im Nordic Walking lediglich einen von den Zubehörherstellern genial initiierten Marketingfeldzug, einen künstlich ausgelösten Megatrend, um den Produktionsüberschuss an Skistöcken an den gesundheitsbewussten Mann respektive an die Frau zu bringen. Ein weiterer Kritikpunkt ist die Wahrnehmung, die überwiegende Mehrzahl der Nordic Walker würde die nordische Lauftechnik nicht beherrschen und sich einer der Gesundheit eher abträglichen Illusion hingeben.

Wer nun immer noch glaubt, in sein körperliches Wohlbefinden etliche hundert Euro für modische Laufschuhe, Markenleggins und Stöcke aus schockabsorbierender Karbonfaser investieren zu müssen, der sollte sich zuvor in einschlägigen Testzeitschriften über all die gemeinen Kontaktgifte und Allergene informieren, die das Material vieler edler Sportartikel kontaminieren. Spazierengehen ist zwar nicht so angesagt wie Nordic Walking, doch es kostet nichts extra, ist weniger verletzungsträchtig und kann mindestens ebenso gesellig sein. Gesund ist es allemal.

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